80. Geburtstag von Arvo Pärt

"Er hat dem estnischen Volk seine Identität gegeben"

Der estnische Komponist Arvo Pärt im Jahr 2008, im Hintegrund die Musiker eines Sinfonie-Orchesters.
Der estnische Komponist Arvo Pärt im Jahr 2008 © picture-alliance / dpa / Scanpix, Pedersen
Von Claus Fischer · 11.09.2015
Arvo Pärts Stil könnte man mit zwei Worten beschreiben: Harmonie und Reduktion. Damit ist der Este zu einem der erfolgreichsten Komponisten der Gegenwart geworden. Der Dirigent Kristjan Järvi ist einer seiner wichtigsten Interpreten und hat zu Pärts 80. Geburtstag eine neue CD mit seinen Werken aufgenommen.
"Das Besondere an Arvo Pärts Musik: sie ist durch und durch aufrichtig und ehrlich. So rein und unverdorben, wie die von Mozart oder Bach. Ebenso klar und tiefgründig, mit dem gleichen Anspruch. (...) Es ist der Klang des Lichts, das ausstrahlt. Manche nennen das auch "Spiritualität". Ich denke aber, das ist keine dezidiert christliche Spiritualität. Es ist die Innere Sehnsucht nach Klarheit, nach Reinheit, die hier ihren Ausdruck findet. Ich sage immer: diese Musik ist wie der blaue Himmel, der die Sterne zum Leuchten bringt."
Kristjan Järvi war etwa acht Jahre alt, als er Arvo Pärt zum ersten Mal begegnete:
"Da war er für mich einfach ein Freund meines Vaters. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer er war. Ich wußte nur, dass er auch Musik macht, wie mein Vater. Später - im Jahr 1980 verließ mein Vater mit meiner Mutter und meinen älteren Geschwistern Estland, fast zeitgleich wie er mit seiner Familie, wegen der politischen Repression in der Sowjetunion. Auslöser war eine Komposition von Arvo Pärt: 'Credo'."
Pärt und Järvi flohen vor staatlichen Schikanen
Dieses Werk erregte den Argwohn der Kulturfunktionäre, hat der Chor darin doch immer wieder den Satz "Ich glaube an Gott" zu wiederholen. Kristjan Järvis Vater Neeme Järvi wurde die Uraufführung von "Credo" untersagt. Er ignorierte das Verbot allerdings - das Konzert fand statt. Die daraus folgenden Schikanen durch Staat und Partei hatten zur Folge, dass sowohl der Dirigent als auch der Komponist mit ihren Familien die Sowjetunion verließen. Arvo Pärt zog nach Berlin, wo er bis heute lebt, Neeme Järvi ging mit seiner Familie in die USA. Die Söhne Paavo und Kristjan sind heute ebenfalls weltweit gefragte Dirigenten und Experten in Sachen Arvo Pärt:
"Ich habe eine Reihe seiner Werke unter seiner Anleitung dirigiert und aufgenommen. Wenn ER nicht dabei gewesen wäre, dann würden sie nicht so klingen, wie sie klingen!"
Vor fünf Jahren hat Kristian Järvi die erste CD mit Kompositionen von Arvo Pärt produziert, am Pult des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Hauptwerk ist die dritte Sinfonie, in der der Komponist uralte Motive der estnischen Volksmusiktradition verarbeitet hat:
"Wenn sie aus Estland kommen, dann spüren sie, wie durch und durch estnisch diese Musik ist. Denn die Melodiefragmente aus dem Mittelalter und der Renaissance lassen die alte Stadt Tallinn vor dem geistigen Auge erstehen, dieser Geist der alten Hansestadt, in der sich das Lebensgefühl des ganzen Landes ausdrückt, er existiert nach wie vor.
Also, wenn sie mich fragen. Arvo Pärt hat dem estnischen Volk seine Identität gegeben, er verkörpert das, was das Land ausmacht, er verkörpert die Mentalität und den Geist der Kulturnation. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen: das was Jean Sibelius für Finnland war ist Arvo Pärt für Estland, ja."
Neue CD guter Einstieg in Pärt-Werk
Selbstverständlich hat es auch lange vor Arvo Pärt in Estland Komponisten von Rang gegeben, zu nennen wären Rudolf Tobias und Cyrillus Kreek. Sie haben vor allem Vokalmusik geschrieben, die zum kulturellen Erbe einer Nation gehört, deren Revolution 1989 nicht nur eine friedliche, sondern eine "singende" war. Diese vokale Disposition der Esten spricht, so Kristjan Järvi aus sämtlichen Werken Arvo Pärts, auch denen für großes Orchester.
"Das alles kristallisiert sich in dieser Musik. So entsteht ein einmaliger Klang, der meiner Ansicht nach sehr estnisch ist."
Vor wenigen Wochen hat Kristjan Järvi mit dem Sinfonieorchester des Mitteldeutschen Rundfunks, dessen Chefdirigent er ist, seine zweite Arvo-Pärt-CD herausgebracht, Titel "Passacaglia". Ein Geschenk für den "väterlichen Freund" zum heutigen 80. Geburtstag, aber auch ein Geschenk für die große Fangemeinde seiner Musik. Enthalten sind bekannte Kompositionen wie "Summa" oder "Fratres", aber auch unbekannte, die es noch zu entdecken gilt. Die perfekte Einstiegsdroge also für alle, die Arvo Pärt erst kennenlernen wollen:
"Wenn Sie eine Platte haben wollen, die ein möglichst umfassendes Bild des Komponisten zeichnet - das ist sie!"
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