70-Stunden-Woche für Auszubildende

Ausbeutung im Gastgewerbe

Zwei junge Köche arbeiten am 21.03.2017 bei den Landesmeisterschaften des Gastro-Nachwuchs in Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) an ihren Speisen.
Gastro-Nachwuchs bei der Arbeit © picture alliance / dpa / Jens Büttner
Von Ludger Fittkau · 29.08.2017
Auszubildende im Gastro-Gewerbe haben oft lange Tage - bei harter Arbeit und schlechtem Lohn. Fast die Hälfte bricht die Ausbildung ab. Azubis würden bisweilen geradezu ausgebeutet, sagt ein IHK-Vertreter. Doch auch TV-Koch-Shows weckten falsche Vorstellungen.
Klara Brenner hat eine Eisdiele in einer südhessischen Kleinstadt als Treffpunkt vorgeschlagen. Die fröhliche junge Frau Anfang 20 heißt in Wirklichkeit anders und war auch nicht immer so fröhlich wie heute. Vor gut einem Jahr ist sie jeden Tag nur widerwillig zur Arbeit gegangen. Klara Brenner war Restaurantfachfrau-Auszubildende in einem kleinstädtischen Gastronomiebetrieb und fühlte sich als eine Art "Tellertaxi" ausgenutzt, wie sie sagt. Das heißt, sie musste den ganzen Tag Tische abräumen und wieder eindecken, als Hilfskellnerin. Einen Pausenraum gab es nicht, Mahlzeiten musste Klara Brenner hektisch auf einer Kegelbahn einnehmen.
"Der Ausbildungsrahmenplan wurde gar nicht berücksichtigt. Man hat mich quasi nur arbeiten lassen und das teilweise auch 14 Stunden am Tag. Ohne Pause. Zum Teil war es dann wirklich so, ich bin da mit Magenschmerzen hingegangen und es machte einfach keinen Spaß mehr. Und wenn man keinen Spaß an seinem Job hat, dann braucht man das auch nicht weitermachen."
Klara Brenner berichtet, dass ihre Kritik am ewigen Tellerschleppen in ihrem ersten Ausbildungs-Betrieb ohne Resonanz geblieben sei:
"Die haben da gar nicht drauf reagiert. Ich wollte ja gerne in die Küche, aufgrund der Zwischenprüfung. Es wurde mir immer gesagt: Ja, machen wir, ja, machen wir, ja, machen wir. Und im Endeffekt ist nichts passiert."

Unglück und wiederkehrende Magenschmerzen

Nach einigen Monaten beruflichen Unglücks bis hin zu körperlichen Folgen wie wiederkehrenden Magenschmerzen entschied sich Klara Brenner, die Ausbildung abzubrechen. Sie wandte sich an ihre Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten – kurz NGG. Die Gewerkschaft half ihr bei der Auflösung ihres Ausbildungsvertrages. Der für sie zuständige Gewerkschaftssekretär heißt Guido Noll und betreut die Region Mainz und Darmstadt. Die schlechten Erfahrungen, die Klara Brenner machte, sind kein Einzelfall:
"Es sind zunächst mal die Ausbildungskriterien, die da angelegt werden. Oftmals wird nicht nach dem Rahmenplan ausgebildet. Man benutzt Auszubildende als billige Arbeitskräfte und versucht sie dann mehr oder weniger dann einzusetzen, wenn das Unternehmen richtig was zu tun hat und lässt sie arbeiten, wenn es richtig knallt."
Mit fast 50 Prozent ist die Abbrecher-Quote beim Ausbildungsberuf "Restaurantfachfrau/-fachmann" besonders hoch. Ganz ähnliche Zahlen gibt es bei angehenden Köchen, Frisören oder Metzgern. Die meist genannten Gründe: zu lange Arbeitszeiten auch an Wochenenden, geringer Lohn.
Klassiker - bleiben wir im Gastgewerbe:
"Auszubildende rufen hier an und sagen: Herr Heinzmann, ich muss 70 Stunden die Woche arbeiten, wie gehe ich damit um?",
sagt Torsten Heinzmann. Er ist "Teamleiter Ausbildung" im Kammerbezirk Darmstadt der Industrie- und Handelskammer. Hier werden 9000 Auszubildende in 180 unterschiedlichen Berufsbildern betreut. Insgesamt zählt der südhessische IHK Bezirk 2400 Ausbildungsbetriebe.
Torsten Heinzmann bestätigt, dass gerade in der Gastronomie Auszubildende bisweilen geradezu ausgebeutet werden:
"Das ist so, ja natürlich. Das ist nicht die Regel, das ist mir ganz wichtig. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Und gerade im Gastgewerbe ist es ein Thema."
Klara Brenner ist es nicht leicht gefallen, ihren Ausbildungsvertrag zu lösen und einen neuen, größeren Arbeitgeber zu suchen. Doch sie persönlich sah keine andere Wahl, obwohl der Wechsel mit einem Umzug verbunden war:
"Es hilft einem nicht weiter, wenn man unglücklich ist."

Nicht mangelndes Fachwissen, sondern Zeit ist das Problem

Doch bevor ein Ausbildungsvertrag wirklich gelöst wird, versucht Torsten Heinzmann von der IHK Darmstadt zunächst in Gesprächen mit den Auszubildenden und den Betrieben auszuloten, ob es noch eine gemeinsame Zukunft geben könnte. Oft seien es keine fachlichen Mängel des Ausbildungsbetriebes, die zum Frust bei den Azubis führen, stellt er fest:
"Ich glaube, es ist weniger die Frage nach dem Wissen, was fehlt, sondern es ist oftmals ein Zeitproblem. Der Ausbilder, der genügend Zeit hat, um sich um seinen Auszubildenden zu kümmern, der kann auch eine ordentliche Ausbildung anbieten. Es fehlt in der Regel nicht am Fachwissen, sondern es fehlt an der Zeit. Die Produktionsabläufe im Betrieb, dass Stress da ist, dass ein Auftrag abgewickelt werden muss, dass das wichtiger ist als die Ausbildung des Azubis."
Auch die Gewerkschaft NGG rät den Ausbildungsbetrieben, sich mehr für eine qualitativ gute Ausbildung zu engagieren. Schon aus Eigeninteresse. Denn auch bei Restaurant-Fachkräften und in der Küche ist vor allem in kleinen Betrieben inzwischen ein zunehmender Fachkräftemangel spürbar. Gewerkschaftssekretär Guido Noll:
"Also die Kleinen merken jetzt schon, dass es einen Fachkräftemangel gibt. Das, was man früher so aus Osteuropa irgendwo mal reingeholt hat und hat gesagt: Hier, da biste Saisonkraft im Hotel- und Gaststättengewerbe! Diese Personen werden immer weniger, die suchen sich dann schon lukrativere Beschäftigungen in Deutschland. Und da hat jetzt der Fachkräftemangel natürlich zugeschlagen. Im Hotel- und Gaststättengewerbe wird es immer schwieriger, Auszubildende zu kriegen, die dann sagen: Ich bin bereit, zehn, zwölf Stunden täglich zu arbeiten und dann, wenn der Arbeitgeber es meint, teilweise dann auch zu unterbrechen und zu sagen: Jetzt habe ich vier, fünf Stunden nix, dann kommst Du heute Abend wieder. Das sind alles Arbeitsverhältnisse, das geht so nicht."

Falsche Vorstellungen aus TV-Kochsendungen

Oftmals haben die Auszubildenden im Gastronomiebereich jedoch auch falsche Vorstellungen von dem, was sie dort erwartet. Die Massenmedien tragen dazu in fataler Weise bei und beeinflussen die Berufswahlentscheidung in den Familien. Das schildern übereinstimmend Guido Noll von der Gewerkschaft NGG und Torsten Heinzmann von der IHK:
"Wir haben schon festgestellt, dass man unter anderen Voraussetzungen im Hotel- und Gaststättengewerbe anfängt. Wir haben die tollen Fernsehsendungen, wo man präsentiert bekommt, wie toll es ist, wenn man Koch ist. Und plötzlich fängt man dann als Koch an und sieht: die Realität ist doch eine ganz andere als das, was man so im Fernsehen gezeigt kriegt."
Torsten Heinzmann: "Berufswahlentscheidung wird in erster Linie auch im Elternhaus getroffen. Und die Frage, wie man ans Elternhaus kommt, ist so noch nicht beantwortet. Schulen machen sehr viel, Agentur für Arbeit macht sehr viel, wir sind massiv unterwegs im Bereich der Berufsorientierung. Und dennoch gibt es, wie jetzt vor kurzem Auszubildende, die zu mir kommen, eine Ausbildung aus Koch machen und sagen: Herr Heinzmann, ich bin todunglücklich, ich muss jeden Samstag arbeiten! Wer eine Ausbildung im Gastgewerbe macht, sollte wissen, dass die Tätigkeiten hauptsächlich am Wochenende stattfinden. Und auch ein Fernsehkoch, berühmte Köche, ob das Johann Lafer oder wer auch immer ist, arbeiten Samstag, Sonntag."
Klara Brenner hat mit der Wochenendarbeit keine Probleme. Erst recht nicht in ihrem neuen Ausbildungsbetrieb, der die junge Frau wieder fröhlich gemacht hat. Sie appelliert nun an andere junge Azubis, bei Frust nicht wortlos hinzuschmeißen, sondern sich wie sie im Zweifel an die Gewerkschaft zu wenden:
"Man muss einfach nur seinen Mund aufmachen, weil sobald man mal einen Aufschrei hat und Leute aufklärt, dann bildet sich eine Welle. Und die wird irgendwann auch den Chef erreichen und dann gibt es Zoff, im Zweifelsfalle. Den man dann mit der NGG zusammen rocken kann. Und bei mir hat das ja auch funktioniert."
Klara Brenner fühlt sich in ihrem neuen Ausbildungsbetrieb, einem großen Hotel am Frankfurter Flughafen, nun ernstgenommen. Der Betrieb achtet darauf, dass sie alle Arbeitsbereiche kennenlernt und bietet auf Wunsch Hilfe bei der Prüfungsvorbereitung an. Ob sich in ihren alten Betrieb etwas geändert hat, weiß Klara Brenner nicht. Das aber ist nun auch nicht mehr ihr Problem.
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