70. Jahrestag der Befreiung

Die Täter von Auschwitz

Porträtaufnahmen des gesuchten KZ-Arztes Josef Mengele. Die Aufnahmen links und Mitte sind aus dem Jahr 1938, die Aufnahme rechts aus dem Jahr 1956.
Drei Porträtaufnahmen zeigen Josef Mengele, der Lagerarzt im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz war. © picture-alliance / dpa
Von Margarete Wohlan und Sabine Gerlach · 29.01.2015
Die meisten Menschen, die nach Auschwitz verschleppt wurden, starben kurz nach der Ankunft in den Gaskammern. Die anderen lebten unter furchtbaren Bedingen im Lager und mussten Zwangsarbeit verrichten, überwacht von SS-Männern. Im vierten Beitrag der Reihe über die Befreiung von Auschwitz haben Margarete Wohlan und Sabine Gerlach die Täter im Visier.
"Als wir ankamen in Auschwitz und ausstiegen und uns angestellt haben, kam ein SS-Mann und sagt: So, damit ihr wisst wo ihr seid, ihr seid im Vernichtungslager Auschwitz. Hier ist der Eingang durchs Tor und der Ausgang ist durch den Schornstein. Da haben wir gewusst, dass das Krematorien waren, ja. Überall lag verbrannte Asche rum. Es roch nach Leichen, nach verbrannten Menschen."
Der Musiker Coco Schumann hat Auschwitz überlebt. Die Bilder und Gerüche aus der Zeit im Vernichtungslager haben sich in sein Gedächtnis und in seine Seele eingebrannt. Schon bei der Ankunft im Oktober 1944 wird dem damals 20-Jährigen klar, mit welcher Brutalität und Menschenverachtung die SS und ihre Helfer hier agieren.
"Hier auf dem Foto sehen wir schon eine Selektion. Hier sehen wir einen SS-Mann und Häftlinge, die für das Gepäck zuständig waren. Als Teil des Systems hier im Lager mussten diese Häftlinge auch bei den Selektionen helfen, sozusagen."
Museumsführer Jacek Lech geht mit einer Besuchergruppe über das Gelände der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Auf großen Tafeln sind Fotos von der Ankunft auf der Rampe zu sehen:
"Fritz Klein, Viktor Kapesiuz, Heinz Thilo, Josef Mengele, alle SS-Ärzte beteiligen sich hier an der Selektion auf der Rampe."
Eine Handbewegung entscheidet über Leben und Tod
Ärzte, die den hippokratischen Eid geleistet haben, entscheiden mit einer Handbewegung, wer leben darf und wer sterben muss. Coco Schumann und Asher Aud, auch er ein Überlebender, überstehen die grausame Prozedur:
"Da waren zwei Reihen von deutschen Soldaten. Wir gehen die zwei Reihen durch und schnell muss man laufen. Jeder Soldat gibt sein Geschenk, mit einem Stock oder mit den Füßen und am Ende der Reihe ist gestanden der gewisse Doktor Mengele. Mengele, der SS-Arzt, der hat selektiert, also Alte und Leute, die nicht arbeiten konnten, die gingen sofort in die Gaskammer. Und die Arbeitsfähigen, die konnten, bis sie auch soweit waren, ins Lager und dort arbeiten."
Ärzte, Wachleute, Aufseher – sie alle sind Herrscher über Leben und Tod. Ihrer Grausamkeit und Willkür sind die Häftlinge schutzlos ausgeliefert.
"Meistens waren sie gemein. Wenn so ein einfacher Mensch SS-Mann wurde, und dann die Macht hatte, zu trietzen, die hat er meistens ausgenutzt.“
Besonders gefürchtet ist der Appell, bei dem die Häftlinge gezählt werden. Lebende wie Tote. Vor und nach der Arbeit. Oft dauert er mehrere Stunden, erinnern sich Coco Schumann und Asher Aud:
"Aufgestanden sind wir um halb fünf und dann nach ungefähr einer halben Stunde war Appell. Und dann wir stehen stundenlang."
"Da mussten wir antreten und abzählen bei Regen und im Winter, und da wir auch alle zerfetzte Klamotten hatten, war das im Winter ganz schön kalt, strammzustehen und dann: 'Achtung, Mütze auf', alle Mütze abnehmen und Mütze wieder aufsetzen. Das höre ich noch heute."
Selektionen und Vergasungen sind an der Tagesordnung
Wer die Aufmerksamkeit der SS-Männer erregt oder während des Appells zusammenbricht, wird erschossen. Gemordet wird in Auschwitz aus nichtigem Anlass und systematisch. Regelmäßig finden Selektionen und Vergasungen statt. Joseph Paczynski, der fast fünf Jahre in Auschwitz war, kann das Grauen nicht vergessen:
"Eines Nachmittags sah ich eine Gruppe Juden, die ins Krematorium gegenüber gingen. Ich kletterte auf den Dachboden, wo ich alles sehen konnte, was auf dem Hof davor geschah. Die SS forderte sie auf, sich auszuziehen, alles in ruhigem Ton. Sie gingen ins Gebäude, die Türen knallten zu. Ein SS-Mann stieg auf das flache Dach des Krematoriums und streute etwas durch die Luke. Danach gab es einen lauten Schrei – der immer leiser wurde, immer schwächer, 15 Minuten, 20 Minuten. Dann war Stille."
Nach dem Krieg berufen sich die meisten Täter darauf, lediglich Befehle ausgeführt zu haben. Für ihre Taten verurteilt werden die wenigsten. Viele SS-Männer tauchen unter oder entziehen sich durch Flucht ins Ausland.
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