70 Jahre nach Mussolini

Wie es um die extreme Rechte in Italien steht

Die italienische Senatorin Alessandra Mussolini, Enkelin von Benito, bei einer pro-Berlusconi Rede 2013 in Rom.
Die italienische Senatorin Alessandra Mussolini, Enkelin von Benito, bei einer pro-Berlusconi Rede 2013 in Rom. © picture alliance / dpa / Giuseppe Lami
Jan-Christoph Kitzler im Gespräch mit Isabella Kolar · 28.04.2015
70 Jahre nach dem Tod Benito Mussolinis sind rechtsextreme Parteien im italienischen Parlament außen vor. Dennoch genießen sie große Zustimmung. Dafür sorgt auch Enkelin Alessandra Mussolini, die sich Berlusconis Forza Italia angeschlossen hat.
Isabella Kolar: Um den 70. Todestag Mussolinis in seiner Bedeutung für Italien einschätzen zu können, macht es vielleicht erst mal Sinn, sich an die Äußerungen des viermaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi über ihn zu erinnern. Ja sicher, die Rassengesetze des Duce seien falsch und die größte Schuld des italienischen Faschismus gewesen, aber ansonsten habe Mussolini doch viel Gutes getan, so Berlusconi vor zwei Jahren. Jan-Christoph Kitzler in Rom, was meint Berlusconi mit "viel Gutes"?
Jan-Christoph Kitzler: Na ja, wenn man es in Italien mit Neofaschisten oder Anhängern Mussolinis, von denen es noch einige gibt, zu tun hat, dann drücken die einem oft zum Beispiel ein Blatt Papier in die Hand – so ist mir das zumindest passiert –, da stehen die hundert Wohltaten des Faschismus, werden dort aufgelistet. Dazu gehört zum Beispiel die Mär, Mussolini habe den Sozialstaat erschaffen, also zum Beispiel Gesundheits- und Krankenversicherung eingeführt und dergleichen. Natürlich auch die ähnlichen Geschichten, wie man sie in Deutschland kennt, Straßenbau, große Infrastrukturprojekte, Wohnungsbau. Das sind Dinge, die Allgemeingut sind, die nicht nur von Faschisten und Neofaschisten als Glanztaten des Regimes Mussolinis hochgehalten werden, sondern die auch von der Bevölkerung geglaubt werden. Das ist eine Sache, die sich wirklich in breiten Bevölkerungskreisen durch zieht.
Kolar: Kann man sagen, dass Berlusconi die Extreme in Italien rehabilitiert und wieder salonfähig gemacht hat? Das war ja vorher nicht unbedingt so, trotz aller Verdienste, die Sie gerade aufgezählt haben.
Kitzler: Genau. Ich muss vielleicht ein bisschen zurückgehen. Es war ja immer so in Italien, nach dem Zweiten Weltkrieg, dass es ein Agreement gab, dass man die extreme Rechte und die extreme Linke aus den politischen Bündnissen heraus hält. Also, Kommunisten hatten keine Chance, Neofaschisten hatten auch keine Chance. Als Berlusconi 1994 an die Macht kam, hat er damit gebrochen, mit dieser Tradition. Nicht natürlich, indem er die Linke reingeholt hat ins Boot – er ist ja bekannt als Kommunistenfresser sozusagen, hat sich da auch immer wieder selbst so stilisiert, aber er hat die extreme Rechte salonfähig gemacht in Gestalt der Alleanza Nationale, die also ganz klar andocken an faschistische Traditionen, die auch faschistische Symbole verwenden. Und da war zum Beispiel jemand dabei wie Fini, der Parteichef, der zum Beispiel noch im Wahlkampf gesagt hat, Berlusconi sei der größte Staatsmann aller Zeiten. Diese Menschen hat Silvio Berlusconi 94 an die Regierung geholt, hat mit denen koaliert, auch um seine eigenen Mehrheiten zu besorgen. Damit, na klar, hat er die extreme Rechte salonfähig gemacht, er hat sie eingebunden, diese Parteien haben regiert, Neofaschisten waren an der Regierung nicht nur auf Landesebene, sondern zum Beispiel hatte die Stadt Rom auch in den letzten Jahren einen faschistischen Bürgermeister.
Kolar: Und sind viele Italiener da mit Berlusconi einer Meinung?
Kitzler: Ja, es gibt erstaunliche Zustimmung, sage ich mal. Man muss dazu sagen natürlich, Berlusconis Stern ist jetzt sehr im Sinken. Berlusconi spielt zurzeit in der aktuellen Politik keine entscheidende Rolle mehr. Matteo Renzi sitzt fest im Sattel, aber es gibt eben viele Italiener, die so dermaßen frustriert sind von der aktuellen Politik, die der aktuellen Politik überhaupt nichts zutrauen, Lösungen von Problemen des Staates anzubieten, die sich so dermaßen abgewandt haben von der Politik, dass sie wirklich sagen, wir brauchen einen starken Mann, die sich zurücksehnen nach den Zeiten Mussolinis, in denen der Staat in Ordnung war, in denen es angeblich keine Korruption gab, in denen Politiker nur das Interesse des Landes im Sinn hatten. So ist die allgemeine Haltung. Also, wenn es Unterstützung in breiten Kreisen auch für faschistisches Gedankengut gibt, die Sehnsucht nach dem starken Mann à la Mussolini, dann liegt das auch eben an der Enttäuschung über die aktuelle Politik.
Kolar: Und schlägt sich das jetzt nur im Internet nieder oder auch in der praktischen Politik? Das heißt, gibt es da auch eine Debatte in der rechten Szene, ob man politisch aktiv sein sollte oder nicht?
Kitzler: Ja, das gibt es durchaus. Es gibt immer wieder Versuche, neofaschistische Parteien zu gründen, mit diesen Parteien anzukommen. Alleanza Nationale hatte es geschafft, die haben aber sich auch natürlich dann als sehr bürgerliche Partei Richtung zur Mitte hin orientiert, haben sich immer mehr gewandelt in den letzten Jahren. Es gibt durchaus Kräfte, es gibt auch Neugründungen von Parteien, also zum Beispiel die Forza Nuova ist eine Partei, die auftaucht und die offen sagt, wir wollen wieder einen neuen Faschismus begründen, die auch kandidiert nicht nur bei landesweiten Wahlen, sondern auch bei Europawahlen, die aktiv ist.
Front National und AfD als politische Vorbilder
Na ja, und dann gibt es auch noch ganz junge Bewegungen, die immer noch ein bisschen unentschieden waren, ob sie sich überhaupt beteiligen sollen am politischen System. Ich denke da an eine Bewegung, die sich Casapound nennt. Das ist eine ganz moderne Form, sich zusammenzufinden. Die haben Zentren gegründet in vielen Städten, die Anlaufpunkte sind. Da gibt es Buchläden, wo faschistisches Material verteilt wird, und da gibt es Infoveranstaltungen, Kulturveranstaltungen, sie beteiligen sich auch so ein bisschen an Saubermachaktionen in den Städten. Und diese Partei hat jetzt auch sich entschieden, obwohl sie lange sich demonstrativ ferngehalten hat vom politischen System, auch zu kandidieren, und die haben es in einigen Kommunen sogar auch geschafft, Kandidaten durchzubringen.
Kolar: Und was sind die Rezepte dieser Parteien für den Umgang Italiens mit dem aktuell drängendsten Problem, mit den Flüchtlingen?
Kitzler: Sie wenden sich natürlich ganz klar dagegen, dass viele Menschen ins Land kommen. Das geht nicht nur bei neofaschistischen Parteien so, sondern auch bei rechtspopulistischen Parteien wie der Lega Nord. Da wird natürlich viel mit Angst gearbeitet, das ist völlig klar. Die sagen, die Flüchtlinge, die kommen, die bringen uns nicht nur viele Krankheiten nach Europa, sondern möglicherweise auch den Terrorismus, was ja bisher noch nicht belegt ist, ehrlich gesagt. Das sind Ängste, die da geschürt werden, die Angst auch vor einer Überfremdung der Gesellschaft. Na ja, und sie sind wirklich auch knallhart dafür, diese Menschen zurückzuschieben und zurückzuschicken in die Länder, aus denen sie kommen, und da auch durchaus radikale Methoden anzuwenden im Sinne von, Militäreinsätze auch in Libyen zum Beispiel werden da vorgeschlagen. Also, das sind alles ziemlich rabiate Vorschläge, die diese Parteien haben, und die finden in Italien auch durchaus Zustimmung, zumindest bei einigen Menschen.
Kolar: Zustimmung sagen Sie. Wie ist denn die Erfolgsquote dieser Parteien, dieser rechten Parteien, bei Wahlen?
Kitzler: Bei Wahlen, muss man sagen, zurzeit ist die Lage so, dass die rechten Parteien, also auch die Alleanza Nationale, die sich aufgelöst sogar, um in Berlusconis Forza Italia aufzugehen, nicht im Parlament vertreten ist. Die Rechte ist außen vor zurzeit. Das liegt natürlich auch an Prozentklauseln, die es auch hier gibt inzwischen im Parlament. Da bleiben diese Parteien außen vor. Sie schaffen es auch nicht, auf europäischer Ebene voranzukommen, aber natürlich immer, in einigen Kommunen sind sie aktiv. Das Problem ist vielleicht auch, dass das rechte Lager sehr zersplittert ist in Italien. Dass es da keine charismatische Führungsfigur gibt, der man jetzt nachlaufen würde, auch, wenn es die Sehnsucht nach dieser Führungsfigur gibt. Das ist das Problem der Rechten, deswegen sind sie politisch bei Wahlen nicht so sehr erfolgreich, aber sie haben große Zustimmung. Wenn man sich Internetforen anguckt, wenn man sich auch eben Follower- und Like-Zahlen auf Facebook anguckt, das ist schon mehr als eine ganz kleine Bewegung, und das hat durchaus auch politisches Potenzial. Man möchte da natürlich auch anknüpfen an Bewegungen wie Front National in Frankreich oder AfD in Deutschland. Das sind auch Vorbilder für diese Rechten, die dann sozusagen unter einem bürgerlichen, rechtsstaatlichen Gewand daherkommen, um da nicht zu viele Menschen abzuschrecken, aber unter der Hand, und wenn man denn auch mal Veranstaltungen besucht, offen rechtsradikal sind.
Kolar: Stichwort Führungsfigur Mussolini, 70. Todestag Mussolini. Alessandra Mussolini, die Enkelin von Benito Mussolini, ist ebenfalls politisch aktiv. Wandelt sie dabei auf den Spuren ihres Großvaters.
Kitzler: Das hat sie getan. Sie war offen aktiv in rechtsextremen Parteien, saß ja damit auch im Europaparlament. Inzwischen ist sie Mitglied in Berlusconis Forza Italia, was so ein großes Sammelbecken ist für das ganze rechte Spektrum. Viele haben sich eben Berlusconi angeschlossen in der Hoffnung, dort politisch auch mit sprechen zu können. Aber wenn Alessandra Mussolini in Veranstaltungen auftritt, dann bietet sie auch ein ziemlich zwiespältiges Bild, will ich mal sagen. Auf der einen Seite ist sie so eine Art rechte Feministin, die sich für Frauenrechte einsetzt, auf der anderen Seite ist sie aber immer aktiv, wenn es darum geht, ihren Großvater zu verteidigen. Da lässt sie wirklich nichts zu, keine Angriffe, und ist dann auch sehr rabiat. Sie ist sehr präsent in italienischen Talkshows, weil sie Krawall schlägt, weil sie laut ist, weil sie auch ein Benehmen hat, was Aufmerksamkeit garantiert, weil sie Menschen über den Mund fährt und selber sich auf sehr zum Teil obszöne Weise ausdrückt. Das ist eine Person, die Italiens Politik zurzeit prägt und die auch eben im Parlament sitzt, allerdings sich angeschlossen hat Berlusconis Lager, was offen ist vor allem nach rechts.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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