70 Jahre Karlspreis zu Aachen

Eine aus der Zeit gefallene Ehrung

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Fotocollage: Jean-Claude Trichet (l), Wolfgang Schäuble und António Guterres bei der Verleihung des Karlspreises.
Unter den 70 bisherigen Preisträgern sind gerade einmal fünf Frauen, kommentiert Alexander Moritz. © picture alliance/dpa/Malte Ossowski/SVEN SIMON/imago/Sven Simon/picture alliance/dpa/Elmar Kremser/SVEN SIMON
Von Alexander Moritz · 15.03.2020
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Auch der Festakt zum 70. Karlspreis zu Aachen wird verschoben. Im Mai soll der rumänische Präsiden Klaus Johannis geehrt werden. Aber wie zeitgemäß ist ein Preis, der vor allem von und für alte weiße Männer vergeben wird, fragt Alexander Moritz.
Der Karlspreis gilt als eine der höchsten Würdigungen für all jene, die sich um die Verteidigung europäischer Werte, die Völkerverständigung und den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Zukunft verdient gemacht haben.
Ein Bürgerpreis, vergeben von einer Jury aus unabhängigen Bürgern – die sich damit bei verdienstvollen Staatsmännern bedanken. Ein Preisgeld gibt es nicht, dafür viel Ansehen – das der diesjährige Preisträger, der rumänische Präsident Klaus Johannis, sicherlich verdient, für seinen unbeirrten Kampf gegen die Korruption im rumänischen Regierungsapparat.
Und trotzdem: Auf mich wirkt der Karlspreis wie ein Relikt einer anderen Zeit. Als es in Ordnung war, das alte weiße Männer einen der ihren mit einem Preis und dazugehörigem Festakt eine Freude machten. Schaut man auf die bisherigen Preisträger, fällt auf, dass am hehren Werk der europäischen Einigung offenbar vor allem weiße Männer beteiligt waren: Unter den 70 bisherigen Preisträgern sind gerade einmal fünf Frauen!
Die französische Liberale Simone Veil, die norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland, die niederländische Königin Beatrix, die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel – und zuletzt vor sieben Jahren die damalige litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė. Fünf Frauen in 70 Jahren – selbst die Oscars haben inzwischen eine bessere Quote.

Die Preisjury ist nicht viel besser aufgestellt

Auch die Preisjury bildet nicht gerade das ab, was in den Festreden gerne als Europa der Vielfalt gepriesen wird: Wer ausgezeichnet wird, entscheiden neben dem Dreigestirn aus Würdenträgern der Stadt Aachen – Oberbürgermeister, Universitätsrektor und Domprobst – derzeit weitere zwölf Männer – und nur zwei Frauen. Bei jeder Filmpreisjury wären solche Quoten – zurecht – ein Skandal.
Zumindest etwas merkwürdig ist auch, dass der Preis nach Karl dem Großen benannt ist: Ein kriegerischer Fürst, der als Frankenkönig zwar die Gebiete Frankreichs und Deutschlands einte, das Christentum verbreitet – aber eben mit Gewalt – mithin ein sehr, sehr alter weißer Mann. Trotzdem dient er als eine Art "Supermythos" europäischer Identität – kulturell anschlussfähig in Deutschland wie in Frankreich.
So war Charlemagne bei der Namensgebung für den Karlspreis in den 50ern ein Kompromisskandidat – historisch genug, um nicht von Nationalisten der einen oder andere Seite vollends vereinnahmt zu sein –, so dass man sich für ihn entschied und nicht etwa für Napoleon Bonaparte – auch wenn wir dem vielleicht mehr Elemente der heutigen EU-Rechtsstaaten verdanken, als dem alten Franken – Administration und Bürgerliches Gesetzbuch lassen grüßen.

Eine Auszeichnung der Eliten

Und um solche eher drögen Verdienste geht es beim Karlspreis ja eigentlich: Er ist eine Auszeichnung der Eliten. Nicht bürgerliches Engagement wird hier gewürdigt, er ist eine Anerkennung für geschickte Bürokraten und weitsichtige Staatslenker. Deren Verdienste um die Europäische Einigung will ich nicht kleinreden: Menschen wie Jean Monnet und Henri Schumann haben Menschen wie ich, die um die 30 sind, es zu verdanken, dass wir Grenzen in Europa nie so ganz ernst genommen haben – von einem Leben ohne Krieg, mit florierender Wirtschaft ganz abgesehen.
Und doch verdeutlicht die Liste der Preisträger – von Winston Churchill bis Jean-Claude Juncker – ein Problem: Die EU ist entstanden als Elitenprojekt, erdacht von Diplomaten und Staatsmännern vor allem in Frankreich, Deutschland und den Beneluxstaaten. Um die Bürgerinnen und Bürger der europäischen Staaten ging es dabei lange kaum.

Einen Preis für bürgerschaftliches Engagement

Und auch wenn Förderprogramme wie das Erasmusstipendium neuen Menschengruppen den Weg zu einem europäischen Bewusstsein öffnen und sie zum Teil einer neuen "République des Lettres" machen wollen – für viele Menschen, die eher bodenständig als kosmopolitisch sind, ist die Begeisterung für die EU geschwunden. Das hat sich schon lange angedeutet – vor dem Brexit und dem Aufkommen nationalistischer Parteien – am Scheitern der Referenden über eine Europäische Verfassung vor 15 Jahren.
Umso nötiger wäre ein Preis, der bürgerschaftliches Engagement auszeichnet. Für Personen, die sich um den kulturellen Austausch zwischen Gemeinden dies- und jenseits der Grenzen verdient machen, Orchester- oder Theaterprojekte, die über Landes- und Kulturgrenzen hinweg Brücken bauen. Für diejenigen, die auf eigene Verantwortung mit Rettungsschiffen im Mittelmeer kreuzen, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten – und die europäischen Werte von Menschlichkeit und Humanismus vor dem Verblassen.
Sie sind es, die Europa eine Zukunft geben.
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