500 Jahre und mehr

Die Abschaffung des Alters

Der britische Gerontologe Aubrey de Grey, wissenschaftlicher Direktor der SENS Research Foundation in Kalifornien, zu Gast in Moskau beim Gaidar Forum 2016 "Russia and the World: Looking to the Future".
Aubrey de Grey: "Wir altern, weil wir Maschinen mit beweglichen Teilen sind." © picture alliance / Sergei Bobylev / TASS
Von Jennifer Rieger  · 08.02.2018
Was würde passieren, wenn der Zeitpunkt des Alterns eine Frage der eigenen Wahl wäre? Im kalifornischen Silicon Valley herrscht Goldgräberstimmung, was die radikale Lebensverlängerung angeht. Der Wissenschaftler Aubrey de Grey sieht sich als geistiger Führer dieser Bewegung.
"Man wird nicht jünger", vielleicht haben Sie das schon mal im Scherz gesagt, oder denken es im Stillen vor sich hin, wenn der Rücken schmerzt und die Gelenke krachen. Aber es hilft ja nichts. Vor dem unbarmherzigen Fluss der Zeit ist niemand sicher. Oder doch?
Aubrey de Grey: "Altern ist die Anhäufung von Schäden – mit anderen Worten, Veränderungen der molekularen und zellulären Struktur, die durch die Dinge entstehen, die der Körper täglich tut, die uns am Leben erhalten. So gesehen ist Altern bei Lebewesen nicht viel anders als bei einem Auto oder einem Flugzeug oder was auch immer."

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"Wir altern, weil wir Maschinen mit beweglichen Teilen sind"

Aubrey de Grey ist wissenschaftlicher Direktor der SENS Research Foundation, einer Non-Profit-Organisation aus Kalifornien. Außerdem, wie er selbst sagt, geistiger Führer einer Bewegung, die gerade im Silicon Valley aufblüht – mit dem Ziel, das Leben radikal zu verlängern. Wenn Aubrey de Grey darüber spricht, klingt es einfach. Altern, sagt der gebürtige Engländer, ist Physik, nicht Biologie:
"Wir altern, weil wir Maschinen mit beweglichen Teilen sind."
Altern ist Verschleiß. Verschleiß, der sich aufhalten und rückgängig machen lässt, wenn man nur das Reparaturhandbuch dazu kennt.
"Wenn wir Therapien hätten, mit denen man diese Schäden reparieren könnte, dann gäbe es kein Limit. Genauso, wie es keine Obergrenze dafür gibt, wie alt ein Auto werden kann. Würdest du 100 Jahre zurückreisen und Ingenieure fragen, ob ihre Autos in 100 Jahren noch funktionieren würden, hätten sie dich ausgelacht. Aber es gibt Autos, die so alt sind."
Der Grund, sagt Aubrey de Grey, ist, dass wir genau wissen, wie ein Auto funktioniert. Die Oldtimer von heute werden auch in Hundert weiteren Jahren noch fahren – solange es Menschen gibt, die sich die Mühe machen, sie zu reparieren. Lebende Organismen zu reparieren, ist allerdings ein bisschen schwieriger.

Forschungen an Fliegen und Mäusen

Sebastian Grönke: "Das sind dann die Fliegen in den verschiedenen Behältern ..."
Ein Besuch im Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln. Hier wird unter anderem an Drosophila melanogaster geforscht, dem Haustier der Genetiker. Sebastian Grönke führt durch die feucht-warmen Räume, in denen die Taufliegen gehalten werden.
Sebastian Grönke: "So eine Fliege kann so um die 60 bis 70 Tage alt werden im Durchschnitt. Wir haben bestimmte Mutanten, die können um die 90 Tage alt werden. Das hängt immer davon ab, welche Mutationen man jetzt hat, aber es gibt welche, die können quasi 50 Prozent älter werden als die Wildtypkontrolltiere."
Die kleinen Biester, die im Sommer um die Obstschale schwirren, haben auf den ersten Blick nicht besonders viel gemein mit uns Menschen. Doch die Mechanismen des Alterns sind sich bei sehr verschiedenen Organismen erstaunlich ähnlich. In der Altersforschung kommen deshalb Mäuse, Fadenwürmer, Taufliegen, sogar Hefezellen zum Einsatz. Dank ihnen hat die Altersforschung in den letzten 10, 15 Jahren große Sprünge gemacht.
Wir kennen Gene, die Tiere langlebiger machen. Wir wissen, dass die Telomere, die wie Schutzkappen auf den Enden der Chromosomen sitzen, mit jeder Zellteilung kürzer werden, was schließlich den Zellen schadet. Wir haben gelernt, dass die Stammzellen mit dem Alter müde werden und das Gewebe nicht mehr so gut erneuern können.
Trotzdem ist Sebastian Grönke skeptisch, ob sich das Leben tatsächlich beliebig verlängern lässt:
"Wenn ich mir angucke, was im Menschen wirklich möglich ist und wenn man sich dann anguckt, was zum Beispiel in der Fliege oder im Wurm möglich ist, wo man im Prinzip Gene beliebig verändern kann, man kann die mit Medikamenten behandeln, man kann Gene raufregulieren, runterregulieren, man kann das mit mehreren Genen gleichzeitig machen und trotzdem ist es immer noch diese Grenze von 30 Prozent Lebenszeitverlängerung, die man nicht überschreiten kann."

Goldgräberstimmung im Silicon Valley

Irreführend findet Aubrey de Grey solche Bedenken, sie lenken nur ab. Im Dunstkreis des Silicon Valley herrscht Goldgräberstimmung, was die radikale Lebensverlängerung angeht:
Aubrey de Grey: "Weil hier so viel Geld herumschwirrt und so viele Visionen. Wir haben die höchste Dichte von Tech-Visionären der Welt. Das ist fantastisch. Jede Woche spreche ich bei irgendeiner Veranstaltung und stelle unsere Arbeit vor. So kommt schnell Investment für neue Start-ups zusammen."
Biotechnologiefirmen arbeiten an verschiedenen Ansätzen. Das von Google gegründete Unternehmen Calico beispielsweise hat bereits hochkarätige Altersforscher rekrutiert, ist aber noch eher verschwiegen, was seine Forschung angeht.
Alkahest, ansässig in San Carlos, Kalifornien, verfolgt eine Strategie, die in der Maus vielversprechende Ergebnisse lieferte: Injiziert man alten Mäusen das Blutplasma junger Mäuse, werden sie fitter und ihre kognitiven Fähigkeiten verbessern sich.
Vielleicht, sagt Aubrey de Grey, ist die Altersforschung bei den technologieorientierten Menschen im Silicon Valley besser aufgehoben:
"Es gibt einen grundlegenden Mangel in der Denkweise des typischen Universitätsforschers, nämlich, dass er immer nur Dinge herausfinden will, die Natur immer besser verstehen. Während sich die Technologen mehr darauf konzentrieren, das, was wir bereits verstehen, zu nutzen, um die Natur zu manipulieren, um das Leben für die Menschen besser zu machen."
Natürlich werden auch die Technologen das Altern nicht von heute auf morgen abschaffen können, und vermutlich auch nicht in zehn Jahren.

"Ein Verteilungsgerechtigkeitsproblem"

Christoph Kann: "Aber überlegen Sie mal, wenn wirklich alle oder eine repräsentative Mehrheit diese Möglichkeit hätte, was würde das für die Gesellschaft bedeuten?"
Christoph Kann, Philosoph an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, arbeitet mit an der interdisziplinären Forschungsinitiative "Alter(n) als kulturelle Konzeption und Praxis".
"Hätten wir nicht auch direkte Probleme in der angewandten Ethik, denn wir könnten ja radikale Lebensverlängerung auch nur technologisch irgendwie herbeiführen? Wie bei allen anderen medizinischen Ressourcen hätten wir hier auch ein Verteilungsgerechtigkeitsproblem."
Was würde passieren, wenn das Altern optional wird, diese große gemeinsame Erfahrung, die uns – im Moment noch – allen bevorsteht?
Aubrey de Grey: "Yeah, people ask me this all the time and I regard it as a damn stupid question."
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