50 Jahre "Z" von Vasilis Vasilikos

Ein Roman als Zeichen des Protests

29:52 Minuten
Eine Aufnahme von Vasilis Vasiliskos mit Hut
Vasilis Vasilikos in einer Aufnahme von 2016: Mit seinem Roman "Z" schrieb er Literaturgeschichte. © picture alliance / NurPhoto
Von Stefan Berkholz · 02.11.2018
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Vor 50 Jahren erschien Vasilis Vasilikos' Roman „Z“ auf Deutsch. Er handelt von einem politischen Mord, der Griechenland 1963 erschütterte. Mit seinem Buch entlarvte der Autor jene Kräfte, die wenig später den Militärputsch in die Wege leiteten.
Im November 1966 veröffentlichte Vassilis Vasilikos seinen Tatsachenroman "Z" in Griechenland. Der Schriftsteller hatte das Attentat auf einen führenden Politiker der griechischen Linken zur Grundlage für seinen Roman genommen, die Verfilmung von Costa Gavras machte das Buch zum Weltbestseller.
Ulf-Dieter Klemm, Autor, Übersetzer und ehemaliger Kulturreferent an der Deutschen Botschaft in Griechenland):
"Dieses 'Z' ist sehr gut komponiert. Das beruht ja auf einer wahren Geschichte, die der Autor genau recherchiert hat. Und er hat das meisterlich dokumentiert, gepackt in ganz viele kleine Kapitel, wo diese Geschichte eines politischen Mordes geschildert wird aus ganz verschiedenen Perspektiven - …von den Tätern, von denen, die ihn in Auftrag gegeben haben, von den Umstehenden, von den Opfern, der Frau und sonstigen Freunden dieses Abgeordneten, und auch die Presse und sonstige Zeugen. Es gab Zeitungsberichte und das zog sich ja lange hin, dieser Prozess. Und es ist immer ein Riesen-Unterschied, ob so etwas zusammengefasst ist in einem kunstvoll geschriebenen Buch oder ob es verstreutes Material gibt. Insofern ist es ein großes Verdienst."
Vasilis Vasilikos:
"Man kann "Z" als nichtfiktionalen Roman bezeichnen, denn es ist alles wahr, er basiert auf Dokumenten. Sagen wir so: Es ist eine Fiktion, die aber kein Roman ist. Nichts ist fiktional in "Z" – oder alles ist dokumentiert."
Petros Markaris, Kriminalschriftsteller:
"Der Roman ist ein großartiger Roman, wirklich! Sehr gut geschrieben und wahrheitsgetreu auch! Vasilikos war auch vor "Z" ein bekannter Autor. Und dass er diesen Roman geschrieben hatte, war natürlich schon, ich meine: die Kombination Vasilikos und der Roman, eine Erfolgsgarantie für den Roman. Zusätzlich ist es auch so, dass die Griechen den Roman sehr geliebt haben. Und man konnte den Roman auch während der Junta illegal finden."

Eine Staatsaffäre

Es war ein politischer Mord, ein Attentat, das ganz Griechenland im Mai 1963 erschüttert hatte – so ähnlich wie der Fall Dreyfus in Frankreich, siebzig Jahre zuvor. Eine Affäre, in die höchste staatliche Stellen verwickelt waren: die Sicherheitspolizei, die Staatsanwaltschaft, die Generalität, Mitglieder der Regierung. Die Ermordung von Grigoris Lambrakis, dem sozialistischen Abgeordneten und Pazifisten, war so etwas wie die Vorgeschichte zur griechischen Junta. Denn hier hatten genau jene Kräfte zusammengewirkt, die später den Militärputsch beförderten und durchführten.
Ulf-Dieter Klemm:
"Und selbstverständlich war die Junta sauer auf ihn. Und er musste fliehen, um sein Leben zu retten. Und er wurde berühmt in Europa und war lange auch eine Stimme des Widerstands gegen die Junta."

Anfangs waren die Reaktionen verhalten

Der Roman "Z" von Vassilis Vasilikos erschien im November 1966 und damit fünf Monate vor dem Militärputsch. Zunächst als Fortsetzungsroman in einer griechischen Zeitschrift veröffentlicht, war die Reaktion noch verhalten. Zu nah waren die Ereignisse, zu frisch die Erinnerungen.
Vasilis Vasilikos:
"
Zwei oder drei Freunde fragten mich: Warum hast du dieses Buch geschrieben? – Ich sagte, was meint Ihr? – Darüber lesen wir doch jeden Tag in den Zeitungen! – Ich hatte eine solche Frage nicht erwartet. Schaut, sagte ich, jetzt kennt jeder die Geschichte aus den Zeitungen. Aber in fünfzig Jahren? Wer wird das dann noch wissen?"
Im Mai 1963 war der Pazifist Grigoris Lambrakis in Thessaloniki auf der Straße niedergeschlagen worden. Ausgerechnet in jener Stadt, in der Vassilis Vasilikos den größten Teil seiner Kindheit und Jugend verbracht hatte. Der Schriftsteller war 29 Jahre alt. Er hatte sich bereits einen Namen gemacht, die ersten Bücher lagen vor. Aber politisch war Vasilikos bis dahin nicht gewesen. Eher ein Schöngeist, der schöne Literatur verfassen wollte. Die Ermordung von Lambrakis war für den Schriftsteller so etwas wie eine politische Erweckung.

Grigoris Lambrakis in Vasilikos' Roman:
Die, die uns beschimpfen, meine Freunde, sind nur zu beklagen, denn sie werden nie erfahren, daß wir für sie kämpfen. (…) Sie wissen gar nicht, wer ich bin, wer ihr seid, sie führen nur ihre schmutzige Arbeit aus, um sich die Gunst ihrer Herren zu erhalten. Alle diese Leute haben Kinder, die nie das Gymnasium besuchen können, kranke Frauen, schlechte Zähne, Magengeschwüre, Ängste, verseuchte Lungen. Sie sind, ich sage es noch einmal, zu beklagen. Deshalb hört nicht auf ihre Schreie. Die Geschichte geht vorwärts, und eines Tages werden sie mitkommen. Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder sein.

So klang der Pazifismus in den 1960er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, zur Hochzeit des Kalten Krieges zwischen West und Ost. 1964 hatte Vasilikos den Roman "Die Fotografien" veröffentlicht, poetische Impressionen über seine Stadt Thessaloniki. Darin heißt es gegen Ende:

Aus Vasilis Vasilikos' Roman "Die Fotografien":
Siehst du, wir essen hier gut, um unseren Tod gesund zu erhalten. Und wir zeugen Kinder, um ihn zu verewigen. Nekropolis ist in uns. Hier werden die Ungeheuer geboren. Hier haben sie Grigoris Lambrakis ermordet.

In seinem Arbeitszimmer in Athen erinnert sich der 83jährige Vasilikos:
"Damals, als ich 'Die Fotografien' schrieb, war ich noch nicht politisch. Ich war Demokrat, aber kein Linker. Ein Linker wurde ich nach dem Attentat auf Lambrakis in meiner Stadt Thessaloniki. Es geschah zweihundert Meter von meinem Elternhaus entfernt. Und meine Eltern zeigten mir Fotografien in den Zeitungen, auf denen jene zu sehen waren, die gegen Lambrakis revoltierten. Ich kannte diese armseligen Menschen, die Verkaufsstände rund um den Modianomarkt hatten."
In "Z" charakterisiert Vasilikos die Besonderheit des Pazifisten Lambrakis:

Aus Vasilis Vasilikos' Roman "Z":
Er war kein Kommunist. (…) Er war kein Theoretiker des Marxismus, kein Gefangener eines Systems. Er war nach allen Seiten offen und spürte die Strömungen, die ihn ungehindert durchliefen. Aber er liebte die am meisten, die ihn wärmten. Er war kein Fanatiker. Er glaubte nur, daß die Logik, die einfache Logik, sich durchsetzen müsse.

Petros Markaris:
"Dazu kam, dass Lambrakis natürlich auch sehr bekannt war in Griechenland, schon als Athlet, als Sportler. Sehr bekannt! Der war auch sehr kämpferisch. Er war auch ein Politiker und Abgeordneter, der offen und öffentlich sich immer zu Wort meldete. Und immer ganz offen die Meinung sagte. Und das hat natürlich Folgen."

Auf dem Höhepunkt des Kalten Kriegs

Als Lambrakis im Mai 1963 ermordet wurde, war die Kubakrise gerade glücklich überstanden. Der Kalte Krieg und die Hysterie von Demagogen waren auf ihrem Höhepunkt angelangt. Lambrakis aber warb für Abrüstung, und er forderte ein selbstbestimmtes Griechenland.
Ulf-Dieter Klemm:
"Griechenland war nach Abschluss des Bürgerkriegs eine formelle Demokratie, mit Parlament, mit Wahlen, die auch einigermaßen funktionierten. 1958 wurde die EDA, die Linkspartei, zweitstärkste Kraft. Das war ja immerhin erstaunlich, das sicherlich den Konservativen nicht gefiel. Es gab aber unter dieser demokratischen Oberfläche den sogenannten Nebenstaat, den paracratos."
Petros Markaris:
"Dieser Parallelstaat hat in Griechenland ganz tiefe Wurzeln. Schon seit der deutschen Nazibesatzungszeit. Denn viele von diesen Leuten waren Kollaborateure. Und nach dem Bürgerkrieg wurden diese Kollaborateure, weil sie auf der Seite der Nationalisten gekämpft haben, irgendwie auch unterstützt vom Staat."
Ulf-Dieter Klemm:
"Und das waren Organisationen aus der Zeit des Bürgerkrieges, vom Militär, von faschistoiden Gruppen, die unter dieser Oberfläche ihre Geschäfte machten. Vor allen Dingen natürlich gegen Kommunisten hetzten, auch tätlich gegen sie vorgingen. Die Kommunistische Partei war ja nicht legal nach dem Bürgerkrieg. Und diese EDA war so eine Art Schutzpartei, wo sich die Linken, auch nichtkommunistische Linke sammelten. Sie hieß ja auch gemeinsame demokratische Linke, das war der Titel, die Abkürzung: EDA."
Petros Markaris:
"Und Lambrakis war ein Opfer dieses Parallelstaates, weil er ja auch nicht nur ein linker Abgeordneter war, sondern auch ein ganz engagierter Befürworter des Friedens. Dieses Ziel zum Frieden konnten die Leute der Nationalisten und des Parallelstaates einfach nicht dulden, das ging nicht."
Ulf-Dieter Klemm:
"Und diese sogenannten Kräfte des Nebenstaates hatten Leute organisiert, man kann sagen: aus dem Abschaum, aus dem Lumpenproletariat, Leute, die für ein paar Drachmen alles tun, die dann als Gegendemonstranten auftraten, und die haben dann, als dieser Abgeordnete Grigoris Lambrakis den Ort verließ, ihn umgebracht."
Vasilis Vasilikos:
"Ich nahm mir also vor, ein Buch über das Attentat zu schreiben. Aber ich konnte es drei Jahre lang nicht. Zwischenzeitlich schrieb ich ein Buch, warum ich "Z" nicht schreiben kann. Und nachdem ich so viel recherchiert hatte und wie eine schwangere Frau herumlief, die nicht niederkommen kann – da kam "In Cold Blood" von Truman Capote heraus. Und plötzlich konnte ich "Z" schreiben. Nicht, weil es mit "In Cold Blood" zu tun hat. Ich war heißblütig, als ich dieses Buch schrieb. Aber Capotes Buch gab mir den Anstoß für mein Buch."

Drei Jahre Kampf mit dem Material

"Kaltblütig" von Truman Capote erschien 1965 und wurde zwei Jahre später verfilmt. Die erste deutsche Übersetzung trug den Untertitel: "Wahrheitsgemäßer Bericht über einen mehrfachen Mord und seine Folgen".
Truman Capote im Anzug: Er grinst in die Kamera und trägt Bücher unter dem Arm
Der Schriftsteller Truman Capote© imago/United Archives
Capotes Roman erschien zunächst als Vorabdruck in einer Zeitschrift und galt als literarische Sensation, weil darin detailliert die grauenhafte Ermordung einer Familie geschildert wird. Capote wollte einen nicht-fiktionalen Roman schaffen, mit dem bewiesen werden sollte, dass eine Tatsachenerzählung so spannend sein kann wie ein raffinierter Thriller. Capote wurde zum Wegbereiter eines neuen Genres, des New Journalism.
Vasilis Vasilikos:
"Mein Buch hatte eigentlich nicht wirklich etwas zu tun mit dem Buch von Capote. Es hatte eher mit meiner Lektüre zu tun, besonders mit jenem Mörder. Und so fand ich die ersten Sätze für mein Buch. Danach war es sehr leicht, es zu schreiben. Aber drei Jahre hatte ich damit gekämpft, diese gewaltige Dokumentation plus all das, was ich zusätzlich wusste, zu organisieren."

Über hundert Kapitel - auf etwas über dreihundert Seiten

Vassilis Vasilikos gliedert seinen Roman "Z" in fünf Teile: Das Attentat auf Lambrakis wird beschrieben, dann der Transport des Leichnams von Thessaloniki nach Athen, die Ermittlungen, die das Komplott aufdecken, die Machenschaften, um es zu vertuschen, sowie der allgemeine politische Hintergrund und die Verschleppung des Falles bis zu seiner endgültigen Verschleierung.
Ulf-Dieter Klemm:
"Das Buch besteht aus über hundert einzelnen Kapiteln, es sind über dreihundert Seiten. Und manchmal ist ein Kapitel nur eine halbe Seite lang. Der Autor versteht es, sich jeweils in die Sprechweise der Person reinzudenken und das auszudrücken. Ich finde, das ist schon meisterhaft gemacht."
Vasilis Vasilikos:
"Es gibt viele lyrische Teile. Das war mein Beitrag, um daraus einen Roman zu machen. Diese lyrischen Teile machen ungefähr ein Drittel des Buchs aus, also die Monologe der Witwe etwa oder der Eisenbahnzug, der die Seele von Lambrakis sprechen lässt. All das ist fiktional. Der Rest aber nicht."
Ulf-Dieter Klemm:
"Diese lyrischen Passagen, das ist vielleicht spezifisch griechisch, ja. Da haben Nordeuropäer vielleicht ein anderes Verhältnis dazu. Aber es bleibt, dass der hervorragend komponiert ist und eine hohe Taktzahl hat. Dass das Thema nachher so bekannt wurde, das hing natürlich mit den Übersetzungen zusammen, es ist dann auf Englisch und Französisch und auch auf Deutsch erschienen, übersetzt von Vagelis Tsakiridis."
Petros Markaris:
"Ich habe den Roman zum ersten Mal in Tripoli gelesen, in Libyen. Ich war damals Exportleiter in einer Zementfabrik. Und ich konnte während der Junta das Buch nicht lesen. Ich hatte ein Exemplar, nahm es mit. Ich las das Buch in Libyen und habe geweint."

Ein Schreckgespenst der Antikommunisten

Grigoris Lambrakis war eine Symbolfigur. Für monarchistische, antikommunistische Kreise war er zum Schreckgespenst geworden. Manche fürchteten, er werde Griechenland aus der NATO führen, womöglich ein neues Kuba am Mittelmeer gründen. Und die Hysterie verbohrter Antikommunisten richtete sich gegen jene, die einst gegen Hitler gekämpft hatten. Solche verhetzten Stimmen lässt Vasilikos im Roman auch zu Wort kommen:

Aus Vasilis Vasilikos' "Z":
Hitler wollte die Welt von den Juden und Kommunisten säubern. Er hat einen guten Anfang gemacht. Nehmen wir diese Stadt als Beispiel. Saloniki. Vor dem Krieg bestand die Hälfte der Bevölkerung aus Juden. Wie viele davon sind übriggeblieben? (…) Sagen wir: einer. Wo sind die übrigen? Man hat Seife aus ihnen gemacht. Das gleiche sollte auch den Kommunisten passieren, doch der Führer hat keine Zeit mehr gehabt…

Vasilikos gelingt es in seinem Roman, die politische und gesellschaftliche Stimmung am Vorabend der Militärdiktatur einzufangen. Der Mord an Lambrakis war so etwas wie eine Generalprobe, ein erster Schritt zum Umsturz. Und Vasilikos hatte bei seinen Recherchen großes Glück gehabt. Ein Informant hatte ihm einen Stapel brisanter Papiere aus dem Justizapparat zugespielt, rund fünftausend Seiten aus den Ermittlungsakten.
Vasilis Vasilikos:
Ich weiß nicht, wie er an dieses Material herangekommen war. Aber er brachte es mir. Mittlerweile hat dieser Richter das gesamte Material veröffentlicht. Sartzetakis war der Untersuchungsrichter dieser ganzen Geschichte, später wurde er auch Präsident von Griechenland. Und etwa 70% vom gesamten Material hatte ich damals schon gelesen. Deshalb konnte ich die Geschichte schreiben.

Jeder wusste, wer mit "Z" gemeint war

Der Name Lambrakis taucht in Vasilikos‘ Roman an keiner Stelle auf. Doch jeder politisch interessierte Leser (und jeder Grieche sowieso) wusste natürlich, wer mit dem Buchstaben "Z" gemeint war:

Aus Vasilis Vasilikos' "Z":
Er kannte Z. nicht persönlich. Aber als er ihn aus dem Flugzeug klettern sah, erfüllte ihn Vertrauen. Das war der richtige Mann, stark, mit erhobenem Haupt, ein Führer, der Champion der Balkanischen Spiele. (…) Er erinnerte sich an die Zeitungsfotos (…), die Z. auf seinem einsamen Marsch von Marathon nach Athen zeigten. Auf den Fotos hatte er damals gequält und müde ausgesehen. Aus der Nähe wirkte er ganz anders.

Vasilikos bezeichnet seinen Helden durchgehend mit dem griechischen Buchstaben Z, das ist Hinweis genug. Z, also Zita, ist der erste Buchstabe des griechischen Verbs zeí, im Deutschen: "Er lebt". Ein Zeichen des Protests, das nach der Ermordung Lambrakis‘ auf Straßen, Bürgersteigen und auf Fassaden gemalt wurde, ein Slogan, der zum Emblem der linken Lambrakis-Jugend wurde:

Aus Vasilis Vasilikos' "Z":
Vor einem Monat war er allein auf den Grabhügel von Marathon gestiegen. Er hatte den Marsch allein gemacht, hatte allein zu Fuß die zweiundvierzig Kilometer zurückgelegt, mit einer griechischen Fahne umgürtet. Ein Marsch für den Frieden. Freunde des Friedens. Für den dauernden Frieden dieser Erde. Damit es kein Vietnam mehr gab. Kein neues Hiroshima.

Im zweiten Teil des Romans begleitet der Erzähler den Trauerzug nach der Ermordung Lambrakis‘ - eine politische Demonstration von großer Kraft. Ein Volk ging auf die Straße.
Petros Markaris:
"Es war eine große politische Demonstration in Athen. Es war auch eine große Auseinandersetzung zwischen der linken und der rechten Partei. Die linke Partei wusste damals eigentlich, dass der Mord nicht von der Regierung organisiert worden war, sondern vom Königshaus. Sie haben das auch irgendwie, wenn auch indirekt, gesagt. Natürlich hielt die linke Partei die Regierung für zuständig für den Mord, was auch richtig war. Aber organisiert wurde das Attentat vom Königshaus."

Aus Vasilis Vasilikos' "Z":
"Er lebt! Er lebt!" (…) Und die Idee des Friedens, für die sich dieser Körper geopfert hatte, nahm plötzlich greifbare Gestalt an und füllte den Raum. Die gleiche Unsterblichkeit, die die Straßen überschwemmt hatte, nahm auch von den Herzen der Menschen Besitz. (…) Es gibt keinen Tod, wenn ein Volk aufsteht, um seine Größe zu zeigen…

Vasilikos entlarvt in seinem Roman genau jene Kräfte, die kurz nach der Veröffentlichung den Militärputsch in die Wege leiteten und unterstützten. Sein Schicksal unter der Junta wäre als ihr erklärter Gegner besiegelt gewesen. Aber der Schriftsteller hatte Glück. Er befand sich auf einer Lesereise im Ausland, wollte von Schweden über Deutschland nach Italien und dann erst zurück nach Griechenland reisen. Zwischenstation war Nürnberg.
Vasilis Vasilikos:
"Es war sechs Uhr am Abend des 21. April 1967, und ich wollte die Gebäude sehen, in denen die Nürnberger Prozesse stattgefunden hatten. Und dann hörte ich in meinem Transistorradio die Nachrichten von American Voice - dass ein Staatsstreich in Griechenland stattgefunden habe, eine Ausgangssperre verhängt und jeder, der nach sechs Uhr am Abend auf den Straßen sei, erschossen werde."

Eine politisch aufgeheizte Zeit

Vasilikos reist weiter nach Italien - und bleibt sieben Jahre im Exil, in Rom, Paris und Westberlin. In Deutschland erscheint der Roman im Herbst 1968, in einer politisch aufgeheizten Zeit. Doch die Buchrezensionen in der deutschen Presse sind nicht allzu hymnisch. Man bescheinigt dem Autor zwar wohlwollend, mit dem Roman der griechischen Provinzialität entkommen zu sein. Doch seine Figuren seien "schablonenhaft", urteilt der "Spiegel". Und in der "Zeit" heißt es, dass "das Buch bisweilen peinlich ins Kitschig-Sentimentale" abrutsche, immer dann, wenn Vasilikos lyrische Töne für seine Erzählung gewählt habe.
Demonstranten am 03.02.1968 auf dem Kurfürstendamm. Nach einer genehmigten, zunächst gewaltlosen Demonstration gegen die Militärdiktatur in Griechenland zogen mehrere hundert Demonstranten auf den Kurfürstendamm und errichteten Barrikaden. Die Polizei setzte mehrfach Wasserwerfer ein. Foto: Konrad Giehr +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
Politisch aufgeheizte Zeit: Studentendemonstration 1968 in Berlin© dpa / Konrad Giehr
Ulf-Dieter Klemm:
"Die Bekanntheit kam durch den Film "Z", den ein Grieche gemacht hat, der auch im Exil war während der Juntazeit, mit der tollen Musik von Mikis Theodorakis. Und das hat natürlich damals in Europa die Studenten und die Jugend mitgerissen, vor allem die vielen Exilgriechen. Das ist ein Film, der Filmgeschichte gemacht hat. Durch diesen Film ist dann auch das Buch sehr verbreitet worden."

Dank Verfilmung zum Welterfolg

Die anfangs verhaltene Resonanz auf das Buch ändert sich ein Jahr später. Die Verfilmung durch Costa Gavras wird ein Welterfolg, Vasilikos‘ Vorlage ein Bestseller.
Asteris Kutulas, Autor und Filmemacher:
"Vassilis Vasilikos und "Z" ist für uns Griechen ein Klassiker aus mehreren Gründen. Und es ist die Geburtsstunde des Politthrillers. Für mich ist das die Geburtsstunde des politischen Spielfilms. Gavras hat damit eine unglaublich wichtige Dokumentation dieser griechischen Gesellschaft auf den Tisch gebracht, die aber darüber hinaus international eine sehr große Rolle gespielt hat. Theodorakis war natürlich durch "Sorbas" sehr, sehr berühmt. Aber in "Z" spielt auch die Musik eine unglaublich große, sehr emotionale Rolle. Und das hat für diese Opposition oder diesen Widerstand, der in Griechenland war, eine sehr, sehr große Bedeutung gehabt und auch zu Widerstand aufgerufen in anderen Ländern. Ich glaube, das ist ein Meilenstein, sowohl für den griechischen als auch den internationalen Film. Aber auch für die Rolle von Musik im Film."
Petros Markaris:
"Den Film von Gavras (…) sah ich eines Abends in Libyen, im einzigen Kino von Tripoli. Da spielten sie "Z". Da habe ich gesagt: "Den Film muss ich mir ansehen." Und ich habe geweint. (…) Wenn man aus einem Land kommt, das von einer Militärdiktatur regiert wird, und erlebt einfach eine Vergangenheit, die des Romans, die das Fundament war für das Kommen der Junta. Man versteht das sofort."

Ein Meisterwerk des europäischen Kinos

In der Sendereihe "Die Begegnungen mit Olivier Père" sagte Costa Gavras im Mai 2015 im Fernsehsender ARTE: "Es war ja eigentlich ein Krimi. Ich musste einen Rhythmus, einen Stil, finden, der dem Inhalt entsprach. Dieser Inhalt war ein klassischer suspense: Wer ist der Mörder? Also die uralte Frage des Krimis. Ich musste ständig Brüche einführen. Es gibt ja sehr viele Figuren in dem Film. Man muss immer wieder Brüche machen, um die alle auf der Leinwand zeigen zu können."
Zwei Männer sitzen an einem Konferenztisch, einer von ihnen hält ein Foto hoch.
François Perier und Jean Louis Trintignant in einer Szene aus Constantin Costa-Gavras' Film "Z" von 1968© imago/United Archives
Der Film wurde, obwohl mit einem sehr geringen Etat ausgestattet, zum Welterfolg und schließlich zum Klassiker. Am Drehbuch war Jorge Semprún beteiligt, der spanische Überlebende von Buchenwald; der Chanson- und Schauspielstar Yves Montand stellte den charismatischen Pazifisten Lambrakis dar, Irene Papas seine Frau und Witwe, und Jean-Louis Trintignant den jungen, scheinbar naiven, aber sehr hartnäckigen Untersuchungsrichter. Und Mikis Theodorakis hatte die Musik komponiert.
Im Mai 2018 wird der Oberbürgermeister von Thessaloniki, Jannis Boutaris, auf offener Straße überfallen und brutal verprügelt. Daraufhin titelt eine linke griechische Tageszeitung: "Nur ein Dreirad-Fahrzeug und ein Knüppel fehlten". Denn so wurde damals, vor 55 Jahren, im Mai 1963, Grigoris Lambrakis überfallen und zu Tode gebracht.

Aus Vasilis Vasilikos' "Z":
Z. und seine Begleiter wandten sich dem (…) schräg gegenüberliegenden Hotel Kosmopolit zu. (…) Genau in diesem Augenblick schoß aus einer Seitenstraße ein dreirädriger Lastkarren hervor. Ein hinten auf dem Fahrzeug kauernder Mann schlug ihm mit einer Eisenstange über den Kopf. Z. taumelte, brach zusammen, die Räder der Maschine überrollten ihn, schleppten ihn einen halben Meter mit; Blut floß über den Asphalt.

2017 erschien in den USA eine sogenannte 50th anniversary edition von "Z" in englischer Sprache. In Deutschland hingegen hat sich kein Verlag finden lassen, der eine Neuedition zum 50. Jahrestag der deutschen Erstausgabe wagte. Der Bestseller aus den 1970er Jahren ist bei uns nur antiquarisch erhältlich. Ulf-Dieter Klemm bedauert diese Zurückhaltung deutscher Verlage.
Ulf-Dieter Klemm:
"Wer die griechische Geschichte kennenlernen will, wer insbesondere einen Geschmack haben möchte für diese Zeit vor der Junta, der kann da sehr viel lernen. Wir dürfen nicht vergessen, es war ja die Zeit, als der Tourismus begann, Ende der 50er Jahre. Und die deutschen Bildungsbürger nach Griechenland reisten und von all diesen Dingen keine Notiz genommen haben."

In Deutschland kaum bekannt

Vasilikos' literarisches Werk ist in Deutschland kaum bekannt und wenig übersetzt. Mehr als einhundert Bücher hat der griechische Schriftsteller veröffentlicht, ins Deutsche übertragen wurden davon insgesamt nur vier Titel. Sein Schaffen unterteilt Vasilikos in verschiedene Phasen:
Vasilis Vasilikos:
Ich begann mit lyrischer Prosa. Es hing immer davon ab, was ich gerade las, wer für eine Zeitlang mein Vorbild war. Zu Beginn waren es André Gide, dann Camus, Kafka und Ionesco. Dann kam die dokumentarische Periode, nicht wie in "Z", sondern wirkliche Dokumentationen. Dann kam die Nabokov- Periode. Verschiedene literarische Schulen also, kann man sagen. Aber ich konnte nie Kriminalromane mit einem Plot schreiben, dazu war ich nicht in der Lage.

Die Unberechenbarkeit der Griechen

Der Bürgermeister von Thessaloniki bezeichnete die Schlägertypen, die ihn im Mai 2018 auf der Straße niedergeschlagen hatten, als organisierte Faschisten. Die Goldene Morgenröte, die Partei der griechischen Nazis, hat es mit über sechs Prozent der Wählerstimmen bei den letzten Wahlen ins griechische Parlament geschafft. Der Kriminalschriftsteller Petros Markaris ist sehr besorgt darüber und er fürchtet die Unberechenbarkeit enttäuschter Griechen bei den nächsten Wahlen. Andererseits sieht er einen großen Unterschied zu der Zeit vor fünfzig Jahren.
Petros Markaris:
"Der große Unterschied liegt darin, dass Lambrakis eigentlich vom – mit dem griechischen Wort paracratos, was heißt: Parallelstaat – ermordet wurde. Und es gibt heute keinen Parallelstaat. Es gibt natürlich eine Aggressivität und eine Brutalität auf den Straßen, aber einen organisierten Parallelstaat, den gibt’s nicht mehr. Der wurde nach 1975 abgeschafft."
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