50 Jahre deutsch-israelische Beziehungen

Diplomatie mit Doppelpass

Das Teamfoto zeigt die U18 des DFB in Yad Vashem 2013.
Das Teamfoto zeigt die U18 des DFB 2013 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem: Sport kann ein verbindendes Element in den deutsch-israelischen Beziehungen sein. © Ronny Blaschke
Von Ronny Blaschke · 22.03.2015
Der frühe Austausch zwischen Sportlern aus Israel und Deutschland war eine wichtige Etappe auf dem Weg zu diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Bis 1952 hatte Israel seinen Athleten noch den Wettkampf gegen deutsche Sportler untersagt.
Bald darauf reisten westdeutsche Sportfunktionäre nach Israel und knüpften Kontakte, auch zu Politikern. 1970 wurde Borussia Mönchengladbach als erstes Fußballteam aus der Bundesrepublik nach Tel Aviv eingeladen - Hunderte Begegnungen zwischen israelischen und deutschen Mannschaften fanden seitdem statt. Viele der Städte- und Schulpartnerschaften zwischen beiden Ländern haben ihren Ursprung im Sport.
"Die Bundesregierung ist bereit, gemeinsam mit Vertretern des Judentums und des Staates Israel ..."
Anfang der Fünfzigerjahre suchte Bundeskanzler Konrad Adenauer den Kontakt zu Israel. Die junge Bundesrepublik wollte sich in der Weltgemeinschaft behaupten. Doch sie betrieb die Annäherung nicht mit Konsequenz. Schließlich versprach sich Bonn Beziehungen zu den arabischen Staaten. Deutschland belieferte Israel mit Waffen.
Und so lud der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Walter Ulbricht, nach Kairo ein. Adenauers Nachfolger Ludwig Erhard schlug am 7. März 1965 dennoch der israelischen Regierung den Austausch von Botschaftern vor. Zehn arabische Staaten brachen die Beziehungen zu Westdeutschland ab. Der Kommentar eines Radio-Reporters:
"Die Zeit im Funk: Um 15:50 Uhr landete Dr. Rolf Pauls, der erste Botschafter der Bundesrepublik in Israel, in einer Air-France-Maschine auf dem Flugplatz bei Tel Aviv."
Unterhalb dieser offiziellen Ebene bestanden Partnerschaften zur Vertrauensbildung. Auch im Sport: Die deutschen Funktionäre Carl Diem und Willi Daume bemühten sich um einen Austausch. Noch waren Wettbewerbe für israelische Athleten gegen deutsche Gegner "genehmigungspflichtig", in Israel bestand ein Auftrittsverbot für deutschsprachige Künstler. Willi Daume, einer der beliebtesten Sportfunktionäre, folgte 1957 einer Einladung nach Israel.
Daume war der erste Repräsentant der Bundesrepublik im jüdischen Staat. Er überreichte dem israelischen Sportverband eine Spende, die Jüdische Allgemeine berichtete in Deutschland auf ihrer Titelseite. 1963 besuchte eine Gruppe der Sporthochschule Köln das Wingate-Institut in Netanya, die wichtigste Sportuniversität Israels. Damals mit dabei: der 20 Jahre alte Sportstudent Manfred Lämmer:
"Unsere Reise wurde penibel vorbereitet. Wir haben sogar einen Sprachunterricht in Hebräisch genossen, der 80 bis 100 Worte umfasste. Zu unserer großen Überraschung hatten sich alle Vorsichtsmaßnahmen, ich will nicht sagen: Befürchtungen, die wir im Vorfeld erörtert haben, als völlig unbegründet erwiesen."
Mehr als 30 Jahre hat Manfred Lämmer das Institut für Sportgeschichte in Köln geleitet, einer seiner Forschungsschwerpunkte: die deutsch-israelischen Sportbeziehungen. Zwischen der Sporthochschule und dem Wingate-Institut entstand 1971 die erste deutsch-israelische Hochschul-Partnerschaft, am Austausch beteiligt waren seitdem mehr als 200 Dozenten. Ab 1974 ermöglichte ein neues Programm Tausenden jungen Sportlern eine Reise ins Partnerland.
"In Bonn schmückt die weiße Flagge mit den olympischen Ringen den Festsaal im Alexander-König-Museum. Gründung des Nationalen Olympischen Komitees."
In den Fünfziger- und Sechzigerjahren wollten Israelis und Deutsche nach vorn blicken. In der Bundesrepublik fanden ehemalige Stützen des Nazi-Regimes neue Aufgaben. Der einstige kommissarische Reichssportführer Karl Ritter von Halt wurde Präsident des Nationalen Olympischen Komitees. 1936 hatte er noch bei den Olympischen Spielen in Berlin die Ausladung der jüdischen Hochspringerin Gretel Bergmann vorangetrieben. Bei den Winterspielen im selben Jahr in Garmisch-Partenkirchen leitete er die Organisation. Ein Auszug aus einer seiner Reden:
"Wir Deutschen wollen der Welt auch auf diese Weise zeigen, dass wir die Olympischen Spiele getreu dem Befehl unserer Führers und Reichskanzlers ..."
Schon 1957 schickte Israel seine besten Trainer nach Deutschland
Wie von Karl von Halt war auch Willi Daume Mitglied der NSDAP gewesen, zudem Informant der SS. Beide machten sich nun für den israelischen Sport stark. Die FAZ titelte 1957: "Der Sport lässt die Vergangenheit vergessen". Ließen sich die Funktionäre von Schuldgefühlen treiben? Die Israelis interessierten sich kaum für die Herkunft ihrer deutschen Freunde, erinnert der Historiker Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem:
"Schon gegen Ende der Fünfzigerjahre, Anfang der Sechzigerjahre war eine Normalisierung – und die beruhte eben auf sehr viel Ignoranz oder viel Wegschauen. Man interessierte sich nicht dafür, was eigentlich diese Leute gemacht haben. Man wusste auch nicht, was eigentlich das Dritte Reich war. Diese Kenntnisse kamen erst später. Die Frage stellte man sich nicht: Herr Daume kommt - was hat er vor 1945 getan? In den Fünfzigerjahren versuchte man, pragmatisch zu agieren."
Auch im Fußball. Seit 1957 schickte der Israelische Fußballverband seine besten Trainer nach Köln. Im Land des Weltmeisters von 1954 sollten sie das Diplom des DFB erwerben. Zu den ersten Absolventen zählte Emanuel Schaffer, aufgewachsen im Ruhrgebiet. Seine Familie wurde vermutlich 1941 ermordet, bei einer Massenerschießung auf dem Gebiet der heutigen Westukraine. Schaffer freundete sich in Köln mit der deutschen Trainer-Ikone Hennes Weisweiler an:
"Ich liebe es besonders, junge Leute zu fördern, fußballerisch. Aber dazu gehört auch, dass man sie charakterlich formt."
Weisweiler gab im Juli 1968 einen Kurs am Wingate-Institut in Netanya. Wenige Monate später reiste die deutsche Jugendnationalmannschaft zu einem Trainingslager nach Israel. Mit dabei: die späteren Welt- und Europameister Uli Hoeneß und Paul Breitner. Ihre Testspiele fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Erst im Jahr darauf 1969 lockerte die israelische Regierung die Sicherheitsvorkehrungen. Als erste deutsche Vereinsmannschaft war der FC Bayern Hof in Israel zu Gast.
"Man lernte sich kennen, man wurde einander vorgestellt."
Ende Februar dieses Jahres findet in der Schwabenakademie Irsee im südlichen Bayern eine Tagung zu den deutsch-israelischen Fußballbeziehungen statt. Es ist die achte sporthistorische Konferenz in Irsee, ins Leben gerufen von Akademiedirektor Markwart Herzog.
Am Abend schauen die 30 Teilnehmer eine Dokumentation über die Reise des FC Bayern Hof. In der letzten Reihe des Saales sitzt Mordechai Spiegler, der wohl bekannteste Fußballer in der Geschichte Israels. 1970, bei der bislang einzigen WM-Teilnahme seiner Heimat in Mexiko, schoss er das einzige Tor, zum 1:1 gegen Schweden. Die Familie von Mordechai Spiegler war während des Krieges quer durch Europa vor den Nazis geflohen – sie überlebte. Nun in Irrsee spricht der 70-Jährige über Deutschland:
"Als ich zehn war, 1954, fand die Weltmeisterschaft in der Schweiz statt. Im großen Endspiel standen sich Deutschland und Ungarn gegenüber. Ich habe damals Ferenc Puskás verehrt, den Kapitän der ungarischen Mannschaft. Ich erinnere mich, wie ich vor dem Radio saß. Als der deutsche Sieg besiegelt war, habe ich geweint. Es hat mich tief getroffen. Als jüdischer Junge galt für mich: Deutschland sollte niemals gewinnen."
Im August 1969 reiste Mordechai Spiegler mit der israelischen Nationalmannschaft zu einem Trainingslager in die Sportschule Hennef. In Frechen bei Köln fand das erste Länderspiel gegen Deutschland statt. Gegner der Israelis war die deutsche Olympia-Auswahl. Die Resonanz der Medien: bescheiden. Nun reisten immer mehr israelische Vereine nach Deutschland. Spiegler schloss viele Freundschaften. Über die Vergangenheit sprachen sie nicht. Spiegler:
"Warum sollten wir über eine Vergangenheit sprechen, an der wir nicht beteiligt waren? Ich habe Spieler wie Günter Netzer nie gefragt, was ihre Eltern im Krieg gemacht haben. Um die Geschichte sollten sich die Historiker kümmern. Ich wollte auf dem höchsten Niveau Fußball spielen. Fast wäre ich nach Mönchengladbach gewechselt, ich hatte sogar Kontakte zu Bayern München. Ich habe die Politik hinter mir gelassen. Hass sollte in meinem Leben keine Rolle spielen."
Die sechziger Jahre waren für den Aufbau deutsch-israelischer Beziehungen von großer Bedeutung. Der Eichmann-Prozess in Jerusalem und die Auschwitz-Prozesse in Frankfurt führten zu einer Debatte über deutsche Verbrechen. 1967, während des Sechstagekrieges, stand die Bundesrepublik an der Seite Israels. Das Deutschland-Bild vieler Israelis erhielt positive Konturen. Und so plante Borussia Mönchengladbach Anfang 1970 eine Reise nach Israel.
"Gegen 1 Uhr begaben sich Pilot und Co-Pilot wie die Passagiere der El-Al-Maschine, die um 12:10 Uhr starten sollte zum Flugfeld. Dort standen ihnen plötzlich drei bis vier Männer gegenüber."
Der Ausflug von Mönchengladbach geriet in Gefahr, wegen eines Anschlags auf eine Maschine der israelischen Fluglinie El Al auf dem Münchner Flughafen. Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher stellte den Gladbachern ein Flugzeug der Bundesluftwaffe zur Verfügung, unter Geheimhaltung. Mit an Bord: der damals 26 Jahre alte Spieler Herbert Laumen:
"Es war so, dass die Frauen nicht begeistert waren. Ich weiß nur, dass der ganze Laderaum frei war, dass nur die Mannschaft und zwei oder drei Sicherheitsbeamte in der Maschine waren und der Tross von Mönchengladbach. Alles andere war ausgeräumt. Selbst unser eigenes Gepäck wurde kontrolliert. Und in Tel Aviv ist die Maschine drei Tage, also während des Aufenthalts, Tag und Nacht bewacht worden."
Von Zuschauern und Medien wurde Mönchengladbach freundlich begrüßt. Trainer Weisweiler wurde am Flughafen live im Radio interviewt, bis dahin war die deutsche Sprache im Rundfunk tabu gewesen. Die Borussia besiegte die israelische Nationalmannschaft in Tel Aviv 6:0. Bis in den frühen Morgen wurden die Gladbacher von jungen Israelis gefeiert. Der Kölner Sporthistoriker Manfred Lämmer.
Bis 2008 bestritt Mönchengladbach 27 Spiele gegen israelische Teams. Auch andere Mannschaften verbrachten ihre Trainingslager in Israel. Der 1. FC Köln, der ab 1976 von Hennes Weisweiler trainiert wurde, sieben Mal. Eine gemeinsame Gedenkkultur für die Opfer des Holocaust gab es nicht. Die deutschen Mannschaften wollten sich im milden Winter auf die Rückrunde vorbereiten. Ohne Politik, erzählt Martin Krauß. Der freie Journalist betreut bei der Jüdischen Allgemeinen die Sport-Themen:
Größter Rückschlag in den Beziehungen war Olympia-Attentat 1972
"Der Film Libero, in dem das Leben von Franz Beckenbauer verfilmt wurde, das war Anfang der Siebziger, da spielen weite Teile am Strand von Tel Aviv. Der bettet sich ein in die Erfolge von Daliah Lavi oder Abi und Esther Ofarim oder die Erfolge beim Grand Prix Eurovision. Israel ist aufgestiegen zu einer sehr attraktiven Gesellschaft in den frühen Siebzigerjahren und das spiegelt sich auch im Sport."
In Kultur, Kunst, Sport etablierte sich ein Netzwerk zwischen Deutschen und Israelis. Journalisten des Sportinformationsdienstes kooperierten mit israelischen Kollegen, deutsche Sportartikelhersteller bauten einen Produktionsstandort an der Grenze zum Libanon. Als erster deutscher Trainer ging Uwe Klimaschefski zu einem israelischen Verein, Hapoel Haifa. Als erster israelischer Spieler wechselte Schmuel Rosenthal zu einem deutschen Klub, Mönchengladbach.
"Hier ist Tel Aviv: Vor ungefähr zwei Stunden landete die El-Al-Maschine. Sie brachte eine Gruppe unglücklicher, verzweifelter Menschen, die mit sich zehn Särge und die verwaisten Gepäckstücke ihrer Kameraden führten."
Der größte Rückschlag für die Beziehungen war das Attentat auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München, bei dem elf israelische Sportler und ein Polizist ums Leben kamen. Manfred Lämmer von der Sporthochschule Köln:
"Dass drei Wochen nach den Olympischen Spielen in München eine Gruppe der Sporthochschule ans Wingate-Institut fuhr, wo viele der Sportler und auch einige Trainer, die in München zu Tode gekommen waren, lehrten und lebten - und die wir kannten. Drei Monate später kam eine große israelische Delegation von Dozenten hier an die Hochschule. Die Ereignisse von München haben in keiner Weise die Beziehungen beeinträchtigt. Sie haben sie aus meiner Sicht sogar noch enger gestaltet, weil wir uns beide als die Angegriffenen betrachteten."
Im Spitzenfußball prägten wenige Personen den Austausch: Das Gespann Weisweiler und Schaffer, sowie Helmut Grashoff, der Manager von Borussia Mönchengladbach. Ihr Engagement täuschte über das Verhalten anderer Vereine und des Deutschen Fußball-Bundes hinweg. Der DFB unterstützte den Israelischen Verband bei der Verankerung in den europäischen Strukturen, nachdem ihn seine arabischen Nachbarn boykottiert hatten. Doch ein angemessenes Bewusstsein gegenüber dem jüdischen Staat leitete der Verband aus seiner Vergangenheit nicht ab. Mit wenigen Ausnahmen:
"Der nächste Gegner ist immer der schwerste. Entweder man hat's oder man hat's ned."
Der hochangesehene Trainer Sepp Herberger wollte 1972 ein verdrängtes Kapitel der Fußball-Geschichte in die Öffentlichkeit rücken. Der DFB hatte in seiner Geschichte zwei jüdische Nationalspieler: Julius Hirsch und Gottfried Fuchs. Bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm schoss Fuchs beim 16:0 gegen Russland zehn Tore. Ein Rekord, den der DFB nach 1933 aus seinen Büchern löschte. Julius Hirsch wurde 1943 in Auschwitz ermordet, Gottfried Fuchs floh nach Kanada. Herberger wollte seinen Brieffreund Fuchs zur Eröffnung des Olympiastadions 1972 nach München einladen. Doch der DFB wollte die Reisekosten nicht übernehmen. Damals saßen dreizehn Männer im Vorstand des DFB, zwei waren in der NSDAP gewesen. Und auch danach fehlte dem DFB das Feingefühl, erzählt der Kölner Publizist Alex Feuerherdt, der sich seit Langem mit dem israelischen Fußball beschäftigt. Eine Symbolfigur für die Ignoranz war laut Feuerherdt der frühere DFB-Präsident Hermann Neuberger.
"Neuberger war Hauptmann im Generalstab der Wehrmacht in Rom gewesen. Er hat aber beispielsweise 1987, beim ersten Länderspiel der deutschen A-Nationalmannschaft in Tel Aviv, erzählt, er sei Soldat im Fronteinsatz gewesen und habe erst nach 1944 von den Konzentrationslagern erfahren. Das darf man, so wie er es gesagt hat, ganz sicherlich in Zweifel ziehen. Neuberger ist ein ausgesprochen autoritärer DFB-Präsident gewesen. Von dieser deutsch-israelischen Fußball-Geschichte mal abgesehen, sind ja doch Sachen haften geblieben wie sein Verhalten im Rahmen der WM 1978 in Argentinien.
Der Putsch des faschistischen Militärs als wörtlich 'Wende zum Besseren', so hat er es gesagt. Und die Einladung von Hans-Ulrich Rudel, Hitlers Lieblingssturzkampfflieger, ins Trainingslager der Nationalmannschaft nach Ascochinga. Und wenn man sich überlegt, dass jemand mit diesem politischen Background DFB-Präsident wird, dann bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, wie der DFB zu der Zeit strukturiert war und wie diese deutsch-israelische Fußballgeschichte auf der Ebene der A-Nationalmannschaften begonnen hat."
Das erste A-Länderspiel zwischen Israel und Deutschland fand am 25. März 1987 statt, 22 Jahre nach Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Die Israelis zahlten dem DFB für dessen Gastspiel 100000 Dollar. Das Stadion in Ramat Gan war beim 2:0-Sieg der Deutschen zur Hälfte gefüllt. Staatspräsident Chaim Herzog blieb dem Spiel fern und empfing auch keinen DFB-Vertreter. Arieh Kraemer, Vizepräsident des israelischen Fußballverbandes, verließ das Stadion aus Protest gegen das Abspielen der deutschen Hymne.
In der Gedenkstätte Yad Vashem musste der deutsche Nationalspieler Hans Pflügler laut der israelischen Zeitung Maariv darüber informiert werden, dass er sich nicht in einer Gedenkstätte für gefallene Soldaten befinde. Manche Spieler hätten versucht, ihr "gelangweiltes Gähnen zu tarnen", schrieb die Zeitung Chadaschot. 17 Jahre nach der Mönchengladbacher Premiere in Tel Aviv stand die israelische Öffentlichkeit dem DFB kritisch gegenüber. Der Historiker Moshe Zimmermann:
In der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem legen Klaus Allofs (links) und Lothar Matthäus (2. von links) für die deutsche Fußballnationalmannschaft sowie Rudi Bommer (2. von rechts) und Alois Reinhardt (rechts) für das Olympiateam im Beisein von DFB-Präsident Hermann Neuberger (Mitte) Kränze für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus nieder
Anlässlich des deutschen Länderspiels in Israel 1987 legten die Spieler Klaus Allofs (links) und Lothar Matthäus (2. von links) in der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem Kränze nieder.© picture alliance / dpa
"Eine Generation nach Ende des Krieges, das heiß ab 1980, meldet sich eine neue Generation zu Wort. Und die beginnt die Auseinandersetzung und die Diskussion um die Beziehung zu Deutschland von Anfang an. Diese Generation hat ja mit dem Krieg persönlich nichts zu tun. Schaut man auf das Thema Fußball: Die Diskussion um den deutschen Fußball ist eigentlich schon 1974 abgelaufen. Zwanzig Jahre später meldet sich die neue Generation. Und da kommen Schriftsteller, Sänger, Politiker und betrachten die deutsche Mannschaft, als wäre sie eigentlich eine Vertreterin der deutschen Vergangenheit. Und entwickeln eine eher negative Einstellung zu Deutschland über diese Schiene."
Die Wiedervereinigung weckte bei vielen Israelis Ängste vor einem mächtigen Deutschland. Die Anschläge auf Asylbewerber in Rostock, Mölln oder Hoyerswerda verstärkten diese Ängste. Moshe Zimmermann:
"Und das erzeugte den Eindruck, dass tatsächlich das Vierte Reich langsam im Kommen ist. Und die Reaktion konnte sich auch auf die Fußball-Weltmeisterschaft 1994 konzentrieren. Man war so eindeutig gegen die deutsche Mannschaft. Nicht, weil man den deutschen Fußball nicht gern hatte, sondern weil man gegenüber Deutschland eine neue Reserviertheit aufgebaut hat."
Anerkennung für besonnenes Auftreten in Yad Vashem
Diese Bedenken spürte die DFB-Auswahl 1997 beim zweiten Länderspiel. Zeitungen zitierten einen Dialog in Yad Vashem zwischen dem Nationalspieler Mario Basler und seinem Trainer Berti Vogts. So soll Basler beim Anblick eines Fotos, auf dem ein KZ-Wärter einen Juden exekutieren will, die Frage gestellt haben: "Das kann doch nicht wahr sein! Hat's so etwas wirklich gegeben, Trainer?" Woraufhin Vogts geantwortet habe: "Doch, so war es." Das verbandseigene DFB-Journal bilanzierte:
"Anerkennung erntete die DFB-Equipe für ihr besonnenes Auftreten beim Besuch der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, das ein weitweit positives Echo auslöste."
Unter Egidius Braun, dem Nachfolger von Hermann Neuberger an der DFB-Spitze, öffnete sich der Verband für gesellschaftliche Themen. Doch unverkrampft war der Blick auf die Vergangenheit nicht, sagt der Publizist Alex Feuerherdt.
"Da zeigt sich dann so ein bisschen, was sich in Punkto der deutschen Vergangenheitsbewältigung getan hat. Braun, der sich dann hinstellt und so salbungsvolle Worte spricht, der dann sagt: ,Die Israelis und wir sollten nicht vergessen', also eine Täter-Opfer-Vermengung zunächst mal. Er mahnt ja sozusagen dann auch die Israelis, sie sollten auch nicht vergessen, als ob sie das in irgendeiner Form überhaupt könnten."
Anfang des neuen Jahrtausends haben Staat und Zivilgesellschaft in Deutschland um eine würdige Erinnerungskultur gestritten. Der Funktionär Theo Zwanziger stieß im DFB politische Projekte an. Der Verband ließ seine Rolle im Dritten Reich erforschen. Und er würdigte Initiativen gegen Diskriminierung mit dem Julius-Hirsch-Preis. 2006 ließ die WM-Atmosphäre das Ansehen Deutschlands in Israel wachsen, zahlreiche Fanklubs von deutschen Vereinen entstanden.
Ohne diesen Wandel wäre Kanzlerin Angela Merkel 2008 bei ihrer Rede in der Knesset nicht so freundlich empfangen worden, vermuten israelische Wissenschaftler und Journalisten. 2008 begründete der DFB eine Tradition: Jährlich im Dezember reist die Auswahl der Unter-Achtzehnjährigen zu einem Turnier nach Israel. Gemeinsam mit der israelischen Mannschaft besucht das deutsche Team an einem Vormittag Yad Vashem. Neben den Jugendlichen gehören wechselnde Vertreter der Regionalverbände zur DFB-Delegation, die meist zum ersten Mal in Israel sind.
Mit Dossiers und Workshops werden sie schon in Deutschland vorbereitet. So haben seit 2008 mehr als 150 Jugendspieler die heiligen Stätten von Jerusalem besucht, die sie ohne Fußball vielleicht nie kennengelernt hätten. 2013 gehörte der Kölner Lucas Cueto zur deutschen Reise-Gruppe:
"Mich hat vor allem beeindruckt die Freundlichkeit der Menschen. Ich hatte da einige Vorbehalte, auch wie die mit uns umgehen, ob die Geschichte noch eine Rolle spielt. Aber die Menschen hier sind sehr, sehr freundlich. Wir sollten das auf jeden Fall alle mit nach Hause nehmen und auch unseren Familien erzählen. In der Schule kann man das gar nicht so ausführlich machen, wie es hier möglich ist."
In Sportpolitik und Wissenschaft ist der Dialog zwischen Israel und Deutschland selbstverständlich geworden. Auf der Leistungssportebene ist er das nicht. Erst zwei deutsche Trainer waren in der höchsten israelischen Liga tätig: Uwe Klimaschewski in Haifa; Lothar Matthäus 2008 in Netanya. Im deutschen Profifußball hat es noch keinen israelischen Coach gegeben, aber Spieler: Itay Shechter, Almog Cohen oder Roberto Colautti. Vielleicht werden es mehr, seit 2013 hat der Israelische Verband einen Technischen Direktor aus Deutschland: Michael Nees. Ressentiments habe er nicht zu spüren bekommen. Im Gegenteil, wie die Idee für ein Werbevideo der israelischen U21-Mannschaft zeigt. Michael Nees:
"Dann haben sie sich so eine Story ausgedacht, wo ich in der Kabine sitze und irgendetwas Israelisches esse, eine Falafel. Und meine Spieler da übers Training auf Deutsch sprechen. Das Motto war: Endlich haben wir eine Mannschaft, die wie eine deutsche Mannschaft spielt."
70 Prozent der Israelis haben heute eine positive Einstellung zu Deutschland, belegt eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Etwa 20000 Israelis sollen in Berlin leben. Zwischen Januar und August 2014 besuchten mehr als 240000 Israelis die deutsche Hauptstadt.
Die Fernsehquote beim deutschen WM-Sieg in Brasilien: 55 Prozent. Zurzeit organisieren das Auswärtige Amt und die Israelische Botschaft zahlreiche Veranstaltungen zum 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Auch mit Blick auf den Sport, sagt Yakov-Hadas-Handelsman, Israelischer Botschafter in Deutschland. 1970 hatte er sich als 12-Jähriger von seinem Taschengeld eine Karte für die Premiere von Mönchengladbach in Tel Aviv gekauft. Nun in Deutschland ist er regelmäßig in Stadien zu Gast. Fußball sei für ihn Unterhaltung und Diplomatie:
"Fußball ist nicht nur zum Genießen. Vor allem ist es heute eine Wirtschaft, es ist Industrie. Und ich bin nicht nur in Berlin, manchmal bin ich in Dortmund. Und dann trifft man Leute dort, von Wirtschaft und Politik. Dann kann man viel erreichen. Statt ich mit einem Ministerpräsidenten einen Termin mache, können wir uns auf der Tribüne verabreden, in einer Loge, für eine halbe Stunde oder für eine Stunde. Etwas essen, sehr inoffiziell, ohne Krawatten. Und reden, plaudern, viel erreichen."
Die deutsch-israelischen Fußballbeziehungen stehen vor neuen Herausforderungen: 2007 wollte der Wolfsburger Profi Ashkan Dejagah nicht mit der deutschen U21 in Israel spielen, aus Sorge um seine Familie im Iran. 2013 schloss der FSV Frankfurt einen Sponsorenvertrag mit einer saudi-arabischen Fluglinie, die keine Israelis befördert. Nach Protesten wurde der Vertrag aufgelöst.
Und vor Kurzem spielte der FC Bayern in Katar und Saudi-Arabien; zwei Staaten, die Israel ablehnen. 2022 soll die WM in Katar stattfinden. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich Israel qualifiziert. Und wenn doch? Der deutsche Fußball könnte unter Beweis stellen, wie sehr ihm an der Partnerschaft gelegen ist.
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