42. Mülheimer Theatertage

Von "Wut" bis "Vernichtung"

Die österreichische Autorin Elfriede Jelinek während eines Interviews in Wien, aufgenommen 1999
Die österreichische Autorin Elfriede Jelinek ist mit ihrem Stück "Wut" für den Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. © picture alliance / dpa / Hans Klaus Techt
Von Stefan Keim · 22.02.2017
Schon die Einladung zu den Mülheimer Theatertagen ist eine Auszeichnung. Die Jury hat nun die Stücke bekanntgegeben, die dort im Mai zu sehen sein werden. Unter ihnen sind Elfriede Jelinek mit "Wut" und Olga Bach mit "Die Vernichtung".
Aufrufe zur gesellschaftlichen Veränderung, kombiniert mit Selbstironie und Humor – das ist der rote Faden beim Theaterfestival Stücke 2017. Ab 13. Mai laufen in Mülheim an der Ruhr wieder die nach Meinung einer Kritikerjury besten Theatertexte der vergangenen 12 Monate. Der am Ende vergebene Dramatikerpreis gilt als bedeutendste Auszeichnung der Gegenwartsdramatik.
Neben der mit "Wut" bereits zum 18. Mal nominierten Elfriede Jelinek prägen vor allem Newcomer das Festival. Die 1990 geborene Olga Bach zum Beispiel, die zusammen mit der gerade extrem angesagten Regisseur Ersan Mondtag ein apokalyptisches Szenario ersonnen hat. "Die Vernichtung" ist eine Stückentwicklung, ein Totaltheater. Es sind nicht immer die literarisch ausgefeilten Texte, die in Mülheim eine Chance bekommen.
Milo Rau ist ebenfalls zum ersten Mal dabei, mit "Empire", einer Aufführung, in der er die von den Schauspielern aus Griechenland, Kurdistan, Syrien und Rumänien selbst erlebten Geschichten zu einem Theaterabend verdichtet.

Eine Bademeister-Utopie

Konstantin Küspert schreibt seit einigen Jahren witzige, politisch inkorrekte und scharfsinnige Texte, die vor allem an kleinen Theatern aufgeführt werden. Mit "europa verteidigen" reist das E. T. A. Hoffmann Theater aus Bamberg nach Mülheim. Zwei der besten neuen Stücke wurden am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt, was auch eine Anerkennung für die seit Jahren ausgezeichnete Arbeit des Teams um Burkhard C. Kosminski ist. "Vereinte Nationen" ist das Theaterdebüt des als Prosaautoren bekannten Clemens J. Selz, und "Mädchen in Not" eine neue schräg-surreale Fantasie der in Wuppertal geborenen Anne Lepper.
Szene aus "Vereinte Nationen" von Clemens Setz
Szene aus "Vereinte Nationen" von Clemens Setz© Mühlheimer Theatertage / Christian Kleiner
Eine der witzigsten Grundsituationen stammt mal wieder von Ferdinand Schmalz, der schon zum dritten Mal im Wettbewerb ist. In "der thermale Widerstand" ist es ein Bademeister, der sein Schwimmbad als soziale Utopie definieren will, als Ort eines "zweckfreien, nicht funktionierenden Körpers".
Bei den Kinderstücken beklagte Jurysprecher Thomas Irmer die nicht besonders große Auswahl an qualitativ guten Stücken. Mit Roland Schimmelpfennig und "Die Biene im Kopf" ist einer der namhaftesten deutschen Autoren im Kinderbereich vertreten. In den eingeladenen Stücken geht es fast durchweg um Außenseiter und ihre Blickwinkel auf Familie und Alltag.
Die Auswahl verspricht ein innovatives und überraschendes Festival. Die Abwesenheit vieler Dauergäste eröffnet die Möglichkeit, sich auf neue Sichtweisen einzulassen, auf eine Generation, die Kritik und zaghafte Utopiegedanken mit Unterhaltungswert und Humor verbindet.

Die Jury hat aus 142 Stücken sieben Stücke ausgewählt, die in der Saison 2016/17 uraufgeführt wurden. Diese Inszenierungen werden vom 13.5. bis 3.6.2017 in der Stadthalle in Mülheim an der Ruhr (NRW) zu sehen sein.
Drei Großstadt-Menschen um die 30 frönen dem Hedonismus in verzweifelter Weise mit Sex und Drogen. Regisseur Ersan Mondtag und Autorin Olga Bach zeigen in "Die Vernichtung" am Theater Bern eindrucksvoll die Langeweile dieser Generation - sowie die Sehnsucht nach Eindeutigkeit und auch Zestörung.
Elfriede Jelinek: "Wut" (Münchner Kammerspiele)
Die Anschläge auf das Satire-Magazin "Charlie Hebdo" waren der Anlass für Elfriede Jelineks neues Stück "Wut". In Nicolas Stemans Inszenierung an den Münchner Kammerspielen wird daraus ein Strudel aus Bildern und Einfällen, inklusive posender Propheten.
Konstantin Küspert: "europa verteidigen" (ETA Hoffmann Theater Bamberg)
Anne Lepper: "Mädchen in Not" (Nationaltheater Mannheim)
Milo Rau: "Empire" (IIPM / Zürcher Theater Spektakel / Schaubühne am Lehniner Platz / steirischer herbst)
Der Dramatiker Ferdinand Schmalz
Der Dramatiker Ferdinand Schmalz © Deutschlandradio Kultur / Manfred Hilling
Ferdinand Schmalz: "der thermale widerstand" (Schauspielhaus Zürich)
Clemens J. Setz: "Vereinte Nationen" (Nationaltheater Mannheim)
Der Dramatikerpreis 2016 wurde an Wolfram Höll für "Drei sind wir" im Schauspiel Leipzig verliehen.

Programmtipp: Über den Zustand der Gegenwartsdramatik und die Auswahl für den Mülheimer Dramatikerpreis sprechen wir um 23.08 Uhr mit dem Theaterkritiker Stefan Keim.

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