200 Millionen Kubikmeter Wasser in Hamburg

Von Mirko Smiljanic · 16.02.2012
Am 16. Februar 1962 wurden die deutsche Nordseeküste und die Unterläufe von Elbe und Weser von einer verheerenden Sturmflut heimgesucht. 340 Menschen starben, Tausende verloren ihr Hab und Gut. Als Konsequenz daraus wurde ein neues Küstenschutzkonzept entwickelt.
Hamburg, 16. Februar 1962. Während der Nacht bricht eine verheerende Sturmflut über die europäische Nordseeküste herein. Besonders betroffen sind die west- und ostfriesischen Küstenabschnitte sowie die Hansestadt Hamburg.

Reporter: "Hamburgs Altstadt steht unter Wasser, so hieß es heute Vormittag, die Flutwellen drangen in der Nacht bis zum Rathaus vor, der Hamburger Elbtunnel steht zum ersten Mal in seiner Geschichte unter Wasser."

Der Pegel in St. Pauli steigt auf 5,70 Meter über Normalnull, so hoch wie nie zuvor. Meteorologisch sind drei Faktoren für die Sturmflut verantwortlich:

"Die Tiden waren günstig. Dann hat der Wind ordentlich geblasen, wenngleich auch nicht exzeptionell, er hat aus der richtigen Richtung geblasen. Und dann war da auch noch ein Beitrag von dem Nordatlantik mit dabei, der durch andere Wettergeschehnisse vorher in die Nordsee gebracht wurde."

Professor Hans von Storch, Leiter des Instituts für Küstenforschung des Helmholtz-Zentrums Geesthacht. Hamburgs Binnendeiche brechen an 60 Stellen, 200 Millionen Kubikmeter Wasser überfluten Marschen und tiefer liegende Stadtviertel. Ein Sechstel Hamburgs meldet: Land unter!

"Achtung, hier spricht das Ortsamt! Bitte bewahren Sie Ruhe, wir kommen mit Verpflegung! Wir haben hier zunächst kalte Verpflegung, warme Verpflegung folgt. Denken Sie daran: Kein Wasser trinken, bitte kein Wasser trinken!"

Die schwersten Schäden richtet die Flut auf der Insel Wilhelmsburg, in Finkenwerder und Vierlanden an. Marode, technisch veraltete und zu niedrige, an den Hochwasserpegeln des 19. Jahrhunderts bemessene Deiche sind die Ursache für die Katastrophe. Ein weiteres Problem: Viele Bewohner sind Kriegsflüchtlinge, die nicht wissen, wie sie sich bei einer Sturmflut verhalten sollen.

Reporter und Flutopfer: "Meine Mutter hat die Leute gerettet, die heute vor uns stehen, und sie ist 71 Jahre alt." -
"Wie hat sie die gerettet?" -
"Ja, sie hat geklopft, sonst wären wir im Bett ertrunken, wir wären im Schlafen ertrunken, wir haben fest geschlafen, die alte Frau ist noch rübergeklettert und hat uns noch rausgeschmissen in letzter Minute, da standen wir schon im Wasser." -
"Sie haben das zuerst gemerkt?" -
"Ja, ich habe das gemerkt, wie das schon an den Knien stand."

Hans von Storch: "Teilweise war es so, dass die Menschen schlichtweg nicht glaubten, dass eine Sturmflut kommen würde. So erzählt man sich, dass die Polizei durch Wilhelmsburg fuhr und die Menschen warnte und viele es einfach nicht zur Kenntnis nahmen, dass dies geschah."

Unkenntnis und schlechtes Krisenmanagement waren mitverantwortlich dafür, dass allein in Hamburg 315 Menschen ertranken. In Niedersachsen und Schleswig Holstein starben 25 Bewohner, Tausende verloren ihr Hab und Gut. Vielleicht wären mehr Opfer zu beklagen gewesen, hätte der damalige Innensenator Helmut Schmidt nicht seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen überschritten: Da er viele NATO-Kommandierende persönlich kannte, forderte er am Morgen des 17. Februar Pioniertruppen sowie 100 Hubschrauber der Bundeswehr und der Royal Air Force an – der Mythos des Machers war geboren.

In den Jahren nach der Sturmflut wurde das Küstenschutzkonzept neu ausgerichtet. Heute sind die Deiche stabiler und höher, einen 100-prozentigen Schutz bieten aber auch sie nicht.

Hans von Storch: "Deshalb ist die Erinnerung an die Flut 1962 auch so wichtig, weil es klar macht, die Gefahr besteht wirklich, das ist kein Hollywoodereignis und man muss sich darauf vorbereiten, dass so etwas geschehen kann. Und in dem Fall hat die Stadt auch Vorsorge getroffen, was mit den Menschen, die in den betroffenen Gebieten sind, geschehen soll."

Reporter: "Das Schlimme war, dass für viele Menschen die Hochwasserkatastrophe als völlige Überraschung kam. Sie haben, glaube ich, nicht viel mehr gerettet als das, was Sie anhaben?" -
"Ja, ja, nicht mal ein paar Schuhe, barfuss musste ich gehen, die habe ich jetzt bekommen von Leuten."