Bassam Tibi über "The Clash of Civilizations"

"Huntington war kein kalter Krieger"

06:50 Minuten
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington im Jahr 2005
Der Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington sei kein Provokateur gewesen, sagt sein deutscher Kollege Bassam Tibi. © Imago/Christian Thiel
Bassam Tibi im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 21.03.2016
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Vor 20 Jahren erschien "The Clash of Civilizations" von Samuel P. Huntington. Das Buch (deutscher Titel: "Kampf der Kulturen") habe nicht nur in der akademischen Welt eingeschlagen wie eine Bombe, sagt Huntingtons Wegbegleiter und Freund Bassam Tibi.
Keine politikwissenschaftliche These hat in den vergangenen Jahrzehnten wohl einen so großen Einfluss gehabt wie diejenige vom "Kampf der Kulturen" von Samuel P. Huntington. Das Buch sei vor 20 Jahren eingeschlagen "wie eine Bombe", sagte der Politologe Bassam Tibi im Deutschlandradio Kultur.
Tibi, ehemals Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen, lehrte und forschte ab 1982 auch in Harvard – Huntington hatte ihn persönlich geholt. Die beiden wurden Freunde, auch wenn Tibi Huntington in Bezug auf dessen Thesen immer wieder Kontra gab. Huntington sei kein Provokateur gewesen, betont Tibi heute. Und er habe auch kein Problem mit dem Islam gehabt, wie vielfach aufgrund des berühmten Buches angenommen wird. Seine Islamkenntnisse seien aber dürftig gewesen, sagte Tibi.
Jenseits dessen lobt Tibi seinen Weggefährten ausführlich. "Für mich war er der allergrößte Professor in den Sozialwissenschaften in Harvard." Er sei bescheiden und zurückhaltend gewesen. Diese Tugenden habe er auch nach 9/11 gezeigt. Nach den Anschlägen auf das World Trade Center hätte Huntington aufgrund seiner fünf Jahre zuvor aufgestellten Thesen "so groß" werden können. "Er hat das abgelehnt, mitzuspielen. Er sagte: 'Das ist schlimm, was passiert ist. Aber das ist kein Clash of Civilizations'."

Das Gespräch im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Es ist selten, dass eine eigentlich wissenschaftliche Wortmeldung so viel Wirbel macht wie die, über die wir jetzt sprechen. "Der Kampf der Kulturen", der "Clash of Civilizations", der vor 20 Jahren erschienen ist, geschrieben von Samuel P. Huntington, der vor einigen Jahren bereits verstorbene Harvard-Professor, an dessen Seite in Harvard viele Jahre lang mein Gesprächsgast gearbeitet hat, Bassam Tibi, der in Damaskus geborene und später in Göttingen lehrende Professor für Internationale Beziehungen. Huntington, als er das geschrieben hat in den 90er-Jahren - hatten Sie den Eindruck, das war zunächst eher eine Provokation oder war das der Versuch einer echten Analyse?
Tibi: Man muss es so trennen: Die Warnung von Huntington und die Realität. Ich kenne Huntington seit 1982 sehr gut, und Huntington ist kein Provokateur. Also nach seiner Wahrnehmung hat er eine post-bipolare Analyse der Weltpolitik vorgelegt, das heißt, nach dem Ende des Kalten Krieges, aber in Wirklichkeit wirkte das wie eine Bombe. Statistisch gesehen: Es gibt keinen Aufsatz, in der ganzen Geschichte der Politikwissenschaft, wie der Aufsatz "Clash of Civilizations" von 1993, der in so viele Sprachen übersetzt worden ist. Huntington hat nicht damit gerechnet.
Frenzel: Hatten Sie denn damals im Umfeld Huntingtons geglaubt, dass diese Thesen so viel Wirbel auslösen könnten?
Tibi: Also ich habe diese These, aber anders als Huntington, schon formuliert. Ich bin Moslem und ich lebe im Westen, und ich spreche von Wertekonflikten. Also ich habe 1979 in Kairo ein großes Referat gehalten und ich bin beinahe ermordet worden, weil ich sagte, es gibt einen Konflikt zwischen säkularer Weltsicht und islamischer Weltsicht, und wir Muslime müssen damit zurechtkommen. Mit solchen Ideen habe ich nicht so etwas ausgelöst wie Huntington. Also Huntington war einmalig.

Schwierigkeiten mit dem Islam

Frenzel: Sie haben selbst ein Buch geschrieben, ein Jahr vor Huntington veröffentlicht, hier in Deutschland, "Krieg der Zivilisation". Das ist vom Titel schon sehr nah dran. Ich zitiere aber gerade noch mal aus dem bekannten "Kampf der Kulturen": "Die Grenzen des Islams sind in der Tat blutig, und das Innere ist es ebenfalls." Bassam Tibi, Sie haben gerade schon mehrfach betont, Sie sind Moslem, Sie sind praktizierender Moslem – gab es auch zwischen Ihnen beiden, zwischen Huntington und Ihnen einen "Clash", als diese Zeilen entstanden sind?
Tibi: Ja, also dieses Zitat, was Sie vorgetragen haben, ist verletzend. Ich habe ihm gesagt, also lieber Sam, es gab zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert eine islamische Philosophie der Aufklärung, des Rationalismus, und der Islam hatte mit Blut damals nichts zu tun, sondern mit Vernunft. Ich habe ihm gesagt, es gibt Konflikte in der Welt des Islam, die blutig sind, aber das ist nicht ein Charakteristikum des Islam. Er hatte Schwierigkeiten damit.
Der Islamwissenschaftler Bassam Tibi
Der Islamwissenschaftler Bassam Tibi, langjähriger Weggefährte und Freund von Samuel P. Huntington© picture-alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Er sagte zu mir oft, Bassam, du denkst rational, und wie kannst du das mit deiner islamischen Weltsicht vereinbaren. Erst mal muss ich sagen, über Tote redet man nicht schlecht. Huntington hat mich 1982 nach Harvard gebracht, und meine Harvard-Karriere von 20 Jahren ist so wichtig für mich, aber ich muss das als Wissenschaftler sagen: Seine Islamkenntnisse waren sehr dürftig, leider.
Frenzel: Hatte er denn ein Problem mit dem Islam, ein irrationales Problem?
Tibi: Nein, aber es gibt eine islamische Herausforderung. Besonders seit der iranischen Revolution 1979 ist eine Auffassung vom Islam in die Weltpolitik zurückgekehrt, und damit ist Huntington nicht fertig geworden. Hierüber war es wirklich sehr schwer, miteinander zur reden, aber Huntington war ein sehr toleranter Mensch. Er hätte mich durch ein Telefonat beim Präsidenten von Harvard rausschmeißen können. Er hat es nie getan, obwohl ich mit dem Bundespräsidenten Roman Herzog ein Buch gegen ihn geschrieben habe, "Preventing the Clash of Civilizations".

Ein "Clash" kennt keine Lösung

Er hat mich daraufhin zum Lunch eingeladen und hat gesagt: "Bassam, what is wrong with you?" Dann habe ich gesagt: "There is nothing wrong. The problem is, we are in disagreement." Es gibt nichts Falsches, sondern das Problem ist, dass wir die Sache unterschiedlich sehen. Ich sehe den Konflikt, aber Konflikte lassen sich rational lösen.
Huntington war ein toller Konfliktforscher, und Huntington weiß, Konflikte können gelöst werden, aber er hat deswegen den Begriff "Konflikt" nicht benutzt, sondern "Clash", weil "Clash" ist essentialisiert, und wenn es zwischen zwei Parteien einen "Clash" gibt, dann gibt es keine Lösung, höchstens einen Waffenstillstand.
Er meinte, er könnte so einen Waffenstillstand zwischen dem Westen und der Welt des Islams erreichen. Das letzte Kapitel seines Buches heißt "Die Suche nach Gemeinsamkeiten", und unter diesen Gemeinsamkeiten ist der Wille, zusammen zu leben, aber: im kalten Frieden.

Der deutsche Titel verschärfte die Debatte

Frenzel: Möglicherweise war die deutsche Debatte auch noch mal eine ganze Spur schärfer. Wenn wir uns den Titel anschauen, "Kampf der Kulturen" – wir haben jetzt auch mehrfach den englischen Originaltitel genannt, "The Clash of Civilizations", was weniger scharf ist, Zusammenstoß der Zivilisationen, hat diese Verschärfung im Titel auch die Debatte im deutschsprachigen Raum noch mal verschärft?
Tibi: Sie haben Recht. Huntington war nicht dafür. Im Jahr des Erscheinens des Buches von Huntington hat uns die Deutsche Bank, also die Herrhausen-Gesellschaft, bei der Deutschen Bank eingeladen, und wir haben im Gebäude der Deutschen Bank darüber diskutiert, und Huntington merkte also eine feindliche Stimmung. Da hat er vor dem Publikum gesagt: "My very good friend Bassam Tibi sieht die Sache nicht so." Dann hat er gesagt, die Übersetzung des Begriffs "Clash" mit "Kampf" hat die Sache sehr verschärft.
Huntington kann Deutsch lesen, und ich habe ihm erklärt, also "Clash" ist Zusammenprall, und Zusammenprall ist nicht so schlimm wie Kampf, aber der Begriff hat dazu beigetragen, dass Huntington in Deutschland als ein kalter Krieger wahrgenommen worden ist, und das ist falsch. Glauben Sie mir, Huntington war kein kalter Krieger.

Nach 9/11 spielte Huntington nicht mit

Frenzel: Fünf Jahre, nachdem das Buch erschienen ist, haben wir den 11. September erlebt, den 11. September 2001, die Anschläge. Viele haben Huntingtons Buch als Art Beleg dafür genommen, was jetzt passierte, für ihren Kreuzzug gegen den Islam. Er hat dass allerdings immer abgelehnt, oder?
Tibi: Genau. Vielleicht persönlich zu Huntington: Für mich war er der allergrößte Professor in den Sozialwissenschaften in Harvard, aber er war bescheiden und zurückhaltend, und diese Tugenden hat er auch nach 9/11 gezeigt.
Nach 9/11 hätte er so groß werden können, und sein Buch hätte wahrscheinlich Riesenauflagen erfahren können. Er hat das abgelehnt, mitzuspielen. Er sagte: "Das ist schlimm, was passiert ist, aber das ist kein Clash of Civilizations."
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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