Samuel Huntington: "The Clash of Civilizations"

Ein unorthodoxes Werk

Samuel P. Huntington im Jahr 2005
Samuel P. Huntington wurde von seinen Kritikern als "kalter Kultur-Krieger" missverstanden, meint Peter Sawicki. © imago / Christian Thiel
Von Peter Sawicki · 21.03.2016
Vor 20 Jahren erschien Samuel P. Huntingtons viel beachtetes Buch „The Clash of Civilizations“. Obwohl es auf wissenschaftlicher Ebene zum Teil berechtigterweise kritisiert wurde, kann es bei heutigen Debatten weiterhin wertvoll und behilflich sein.
Ein meinungsstarkes Buch auseinanderzunehmen, zumal eines, das mit kühn anmutenden Thesen aufwartet, ist für kritische Leser eine zumeist dankbare Aufgabe. Stellt sich der Grundtenor des Buches zusätzlich gegen den Debatten-Mainstream, kann sich der Autor wenig schmeichelhafter Urteile sicher sein.

"Westliche Arroganz, islamische Intoleranz, sinische (chinesische) Bestimmtheit – dem Zusammenwirken dieser Faktoren wird aller Voraussicht nach die gefährlichen Konflikte der Zukunft erzeugen."

Nachdem der Politologe Samuel Huntington 1996 sein Buch "The Clash of Civilizations" publizierte – es war eine erweiterte Fassung seines drei Jahre zuvor erschienenen (fast) gleichnamigen Aufsatzes –, konnte er sich vor beißender Kritik kaum retten. Zur Last gelegt wurde ihm in erster Linie eine wissenschaftlich mangelhaft ausgearbeitete Analyse weltpolitischer Dynamiken. Was beinahe noch schwerer wog, war die vielfach geäußerte Ansicht, Huntingtons Werk sei "gefährlich", weil es zu einer Außenpolitik verführen könne, die sich vom simplen Weltbild des Harvard-Professors leiten lässt.

Übersetzung ins Deutsche goss Öl ins Feuer

Bemerkenswert an der "Clash"-Debatte ist die Tatsache, dass sich das Lager der Kritiker Huntingtons selbst auf einem äußerst dünnen argumentativen Fundament bewegt, vor allem im deutschsprachigen Raum. Das beginnt bereits beim Blick auf den Titel. In der deutschen Fassung wurde aus "The Clash of Civilizations" ein "Kampf der Kulturen" – eine zweifelhafte, wenn nicht gar falsche Übersetzung, wie auch Bassam Tibi, ein früherer Wegbegleiter Huntingtons, zu Recht anmerkt. Auf dieser Grundlage wurde vielerorts das Bild eines kalten Kultur-Kriegers gezeichnet, dessen eigentliches Ziel es gewesen sei, durch die Blume einen tatsächlichen "Kampf" zwischen dem Westen und dem Rest des Globus anzufachen.

"Es ist im Interesse der USA und Europas, anzuerkennen, […] dass westliche Einmischung in die Belange fremder Zivilisationen potentiell den größten weltpolitischen Schaden anrichten könnten."

Davon kann mitnichten die Rede sein. Huntington spricht in seinem Buch von einem "Clash" – also einem "Zusammenprall" – sieben bis acht großer Zivilisationen. Weltpolitische Konflikte, prophezeit er, werden sich in Zukunft vor allem entlang kultureller Grenzlinien bewegen. Obwohl einige Details dieser Beobachtung in der Tat Mängel aufweisen, sei es ein unpräziser Zivilisationsbegriff oder teils oberflächliche Urteile über den Islam, zielt "The Clash of Civilizations" darauf ab, Spannungspotential zu veranschaulichen, um Blutvergießen vermeiden zu helfen.

Gegengewicht zum westlichen Universalismus

Daran sollte es grundsätzlich kaum etwas auszusetzen geben. Manchem Huntington-Kritiker mag wohl jedoch missfallen haben, dass der Politikwissenschaftler im Hinblick darauf anmahnte, auch vor der eigenen Haustür zu kehren. "Der Glaube des Westens an die Universalität seiner Werte ist dreifach problematisch: Er ist falsch, er ist unmoralisch und er ist gefährlich" – eine beachtliche Gegenposition zu all jenen, die, besudelt vom westlichen Triumphgetöse nach dem Ende des Kalten Krieges, an die unaufhaltsame Missionskraft ihrer Werte glaubten.
Dass diese Auffassung Probleme in sich birgt, haben die zwei Jahrzehnte seit dem Erscheinen von "The Clash of Civilizations" mehrfach schonungslos bewiesen. Schon allein deshalb lohnt sich auch heute noch ein Blick in das Buch. Es ruft die westliche Leserschaft nicht nur dazu auf, sich mit Fragen der eigenen Identität zu befassen, sondern weist ebenso auf politische Herausforderungen hin, die nicht nur Europa und den Westen auch heute noch beschäftigen.

"Um Frieden zu gewährleisten, müssen die politischen, geistlichen und intellektuellen Führungspersonen aller Zivilisationen einander verstehen und miteinander kooperieren."

Eine durchgängig prophetische Funktion erfüllt "The Clash of Civilizations" freilich nicht – was sich Huntington allerdings auch nie auf die Fahnen geschrieben hat. Es war ein Versuch, ein weltpolitisches Ordnungsmuster für die Zeit nach der kurzen "Ära der Extreme" zu entwerfen. Die Welt ist heute zwar komplizierter, als Huntington es vor 20 Jahren zu erkennen glaubte. Für aktuelle Debatten ist sein Werk gleichwohl nach wie vor wertvoll.
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