2+4 macht Eins

Von Karl F. Gründler · 05.05.2005
Am 5. Mai 1990 begannen in Bonn die 2+4-Verhandlungen der beiden deutschen Außenminister mit ihren alliierten Kollegen um die äußeren Aspekte der deutschen Einheit. Deutschland sollte in die Souveränität entlassen und zugleich in die Sicherheitsstrukturen in Europa eingebunden werden. Im Weltsaal des Bonner Außenministeriums startete der monatelange Poker um die Zukunft Mitteleuropas.
Nach Öffnung der Mauer im November 1989 verließen jeden Monat zehntausende DDR-Bürger ihr Land in Richtung Westen. Das Wirtschafts- und Sozialsystem im Osten drohte zusammenzubrechen. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten kam, von den USA vorbehaltlos unterstützt, auf die politische Tagesordnung. Die europäischen Nachbarn reagierten eher reserviert, so die britische Premierministerin Margeret Thatcher:

"Man kann nicht einfach die Geschichte dieses Jahrhunderts ignorieren, als sei sie nicht geschehen, und sagen, wir werden uns vereinen, und alles andere muss danach geregelt werden. So geht das nicht."

Anfang Februar 1990 finden der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher und sein amerikanischer Kollege James Baker die Zauberformel "2+4" für die anstehenden Verhandlungen. Die beiden deutschen Staaten sollen die inneren Aspekte der Vereinigung untereinander regeln, die äußeren dagegen zusammen mit den vier Alliierten USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion verhandeln.

Gegen diese Formel wendet sich vor allem Polen. Bereits 1945 fühlte es sich als Kriegsteilnehmer an mehreren Fronten zu Unrecht von der Potsdamer Konferenz ausgeschlossen. Nun will es wenigstens dabei sein, wenn seine Westgrenze endgültig festgelegt wird. Helmut Kohl vermeidet zu diesem Zeitpunkt mit Rücksicht auf die Vertriebenen jede klare Stellungnahme. Der Polnische Staatspräsident Wojciech Jaruzielski:

"Das Zögern, die Vieldeutigkeit, die Änderung der Haltung erwecken den Eindruck, dass die Bundesrepublik sich in dieser Frage das letzte Wort für den Tag vorbehält, wo sie es als ein enormes, mächtiges und vereinigtes Deutschland sprechen kann."

Schließlich wird vereinbart, dass Polen in der Frage der Oder-Neiße-Grenze zu den Verhandlungen hinzugezogen wird. Am 5. Mai 1990 sitzen in Bonn zwei deutsche Außenminister am runden Tisch mit den vier Alliierten, allerdings in sehr verschiedenen Rollen. Hans-Dietrich Genscher ist Hausherr und hatte den Verhandlungsprozess angeschoben. DDR-Außenminister Markus Meckel wurde an den Vorbereitungen der Konferenz nicht beteiligt. Und seine Vorschläge zur einschneidenden Abrüstung sowie zu einer Sicherheitszone in Mitteleuropa werden einfach übergangen. Er selbst sagt später:

"Für Genscher wäre es das ideale Bild gewesen, wenn ich ihm wie ein Dackel gefolgt wäre."

Bei dem Treffen in Bonn wird vor allem der Verhandlungsfahrplan für die kommenden Monate festgeklopft: Grenzfragen, Ablösung der Vier-Mächte-Verantwortlichkeiten und die Sicherheitsstrukturen für Europa. Die heikelste Frage, die zukünftige Zugehörigkeit Deutschlands zu einem Militärbündnis bleibt offen.

Anfang Juli 1990 gelingt es dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow auf einem Parteitag der KpdSU, seine konservativen Kritiker zu entmachten. Nun kann er die ehemaligen Satellitenstaaten in Osteuropa in die Selbstständigkeit entlassen. Bei einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl am 16. Juli im Kaukasus billigt Michail Gorbatschow auch die Nato-Mitgliedschaft ganz Deutschlands. Ein hörbar zufriedener Bundeskanzler an diesem Abend im Fernsehen:
"Heute kann ich die für alle Deutschen gute Nachricht mitbringen, dass nunmehr über alle äußeren Aspekte zwischen uns und der Sowjetunion Einigkeit erzielt ist. Wir wollen zukunftsgewandte Verträge, umfassende Zusammenarbeit, Vertrauen, und nicht zuletzt die breite Begegnung unser Völker, insbesondere der jungen Generation."

Als Gegenleistung garantiert die Bundesregierung umfangreiche Lebensmittellieferungen sowie einen 5-Mrd-DM-Kredit. Weitere 15 Mrd. DM für den Abzug der sowjetischen Truppen aus Deutschland werden am 12. September in Moskau vereinbart.

Am selben Tag setzen die Außenminister der Alliierten und der beiden deutschen Staaten ihre Unterschrift unter den "Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland." Er garantiert die Unverletzlichkeit der Oder-Neiße-Grenze und begrenzt die Bundeswehr auf 370 000 Mann. Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher erinnert sich:

"Als ich meine Unterschrift unter diesen Vertrag setzte, zitterte meine Hand. Ich hatte es mir immer gewünscht. Und nun wurde es Wirklichkeit. Der Weg zur deutschen Einheit war frei."