150 Jahre Rennbahn Hoppegarten

Leben im Galopp

Zuschauer sehen sich auf der Rennbahn Hoppegarten einen Lauf an, aufgenommen 2012
Rennbahn Hoppegarten: Vom König eröffnet, alles überdauert. © picture alliance / dpa / Florian Schuh
Von Wolf-Sören Treusch · 13.05.2018
Die vielleicht schönste Pferderennbahn Deutschlands wird 150: Hoppegarten am östlichen Stadtrand von Berlin. Von Preußenkönig Wilhelm I. persönlich eröffnet, überdauerte sie die Nazi-Herrschaft und die DDR und ist heute wieder eine Topadresse für den Pferdesport.
Sie: "Jacobo! Jacobo!!!"
Er: "Bleib ruhig!"
Sie: "Haach, jajajaja" (flippt aus) Jacobo!!! Jaaaa!" (Jubelgeschrei)
Die Zuschauer auf der Haupttribüne geraten schon einmal in Ekstase, wenn die Rennpferde im gestreckten Galopp mit 40 bis 50 km/h an ihnen vorbei rauschen. Für einen kurzen Moment. Ist das Finish vorüber, beruhigt sich die Lage. Bis zum nächsten Rennen. In Hoppegarten geht das nun schon seit 150 Jahren so. Zuletzt wieder mit steigenden Besucherzahlen.
"Ich habe gerade gesehen: vor den Kassen haben wir Riesen Schlangen, wir haben leider zu wenig Kassen auf, das wird gerade abgestellt…"
Gerhard Schöningh gehört die Anlage. Er hat sie vor zehn Jahren erworben. Hoppegarten ist die erste deutsche Rennbahn mit einem Privatinvestor.
"…da kommen noch einige, und ich glaube, dass auch heute wieder ein sehr guter Tag wird, das freut mich natürlich sehr, Jubiläumssaison ist nicht irgendeine, und das ist toll."

Mit dem Champagnerglas auf der Haupttribüne

150 Jahre Hoppegarten – zum ersten Rennwochenende im April 2018 kommen 12.000 Zuschauer an den östlichen Stadtrand von Berlin. Es ist warm, es ist sonnig. Ein Fanfarenzug aus dem benachbarten Strausberg spielt auf, die Besucher verteilen sich auf der riesigen Anlage. Manch einer spaziert mit Champagnerglas in der Hand die Haupttribüne entlang, andere gehen zum Führring und bestaunen die Vollblüter. Viele, vor allem junge Besucher, breiten ihre Decke aus auf der großen Picknickwiese zwischen Zielgerade und Tribüne.
Besucherin: "Wir hatten einfach Lust, bei dem guten Wetter Pferde anzuschauen, schöne Menschen und ein bisschen Wein zu trinken."
Besucherin: "Ein Grund war auch, wir haben nämlich einen neuen Picknickkorb, wir wollten den mal einweihen. Deshalb …"
Peters: "1,5 (heftiges Klacken) 3, (wieder heftiges Klacken) Zwo, (nochmal gutes Klacken) 5." (Klacken)
Derweil testet Marco Peters mit einem Bodenprüfgerät den Zustand des Geläufs. Er stellt ein 1,50 Meter langes Eisenrohr auf den Rasen der Rennbahn. Darin befindet sich ein ebenso langes Rundeisen. Dann entriegelt er ein Gewicht am oberen Ende des Rohrs, das schießt herunter und treibt das Rundeisen in den Rasen.
"Jetzt messe ich, wie weit die Spitze in den Boden geht, um zu wissen, ob der Boden weich ist, hart ist usw."
Die Prüfung dauert keine zwei Minuten – Ergebnis: das Geläuf ist in einem perfekten Zustand.
"5 hat er zum Schluss gehabt jetzt. Das heißt: wenn er von 1,5 bis 5 misst, haben wir 4,5 Bodenwert. Das ist noch im guten Bereich."

Ein Geläuf wie eine gut gepflegte Autobahn

Gerade wegen der Qualität des Geläufs gilt Hoppegarten unter Fachleuten als die schönste Rennbahn Deutschlands. Bestätigt auch Peter Schiergen, einer der erfolgreichsten bundesdeutschen Galoppsportler – früher als Jockey, heute als Trainer.
"Das Geläuf ist im guten Zustand, das ist wichtig für die Pferde zum Galoppieren, man muss sich das vorstellen, wie auf einer Autobahn, ob die Autobahn gut gepflegt ist, ist es besser zu fahren als mit Schlaglöcher halt. Und so sollte das Geläuf auch sein, es sollte gut gepflegt sein, gleichmäßig und ohne Löcher halt."
Tausende Zuschauer verfolgen am 24.05.2015 vor der Haupttribüne beim Pferderennen «Diana Trail» in Hoppegarten (Brandenburg) den Zieleinlauf im ersten Rennen.
Tausende Zuschauer verfolgen am 24.05.2015 vor der Haupttribüne beim Pferderennen «Diana Trail» in Hoppegarten (Brandenburg) den Zieleinlauf im ersten Rennen.© picture alliance / dpa/ Soeren Stache
Der andere Grund für ihre Popularität ist die herrliche Lage der Rennbahn. Saftiges Grün, wohin das Auge blickt. Hohe, wunderbar gewachsene Bäume entlang der Rennstrecke und auch zwischen den sanierten Klinkerbauten im Zuschauerbereich. Manche Gebäude stehen unter Denkmalschutz, zum Beispiel die Haupttribüne aus dem Jahr 1922. Hans-Jürgen Gröschel liebt Hoppegarten. Schon zu Ostzeiten trainierte er hier Rennpferde, kurz vor der Wende wechselte er in den Westen. Ein Start in Hoppegarten, sagt er, ist für ihn bis heute ein 'Muss'.
"Für mich die tollste deutsche Rennbahn, der Kaiser hat schon früher gewusst, was er hierher gebaut hat, nicht, und sie ist fair, sie hat eine schöne Zielgerade, hat einen tollen Publikumsbereich. Ich komme immer wieder gern hierher."

Im Beisein des Königs 1868 eröffnet

Rückblick. Der Rennbetrieb in Hoppegarten startet am 17. Mai 1868. Im Beisein von König Wilhelm I. von Preußen, dem späteren ersten deutschen Kaiser. Der sich bei der Anreise über die schaukelige Kutschfahrt wegen der ungepflasterten Straßen echauffiert. Kaiser Wilhelm II. erlässt 1891 aus religiösen Gründen ein Sonntagsrennverbot. Zwölf Jahre gilt es.
Anschließend entwickelt sich Hoppegarten zu einer der Topp-Adressen im deutschen Galopprennsport. In den 1930er-Jahren strömen zeitweise 40.000 Menschen zu den großen Renntagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Anlage verstaatlicht, die großen Gestüte wandern in den Westen ab, die Ostpferde sind nicht mehr konkurrenzfähig. Erzählt Artur Böhlke, dessen Leben ohne die Rennbahn in Hoppegarten nicht vorstellbar ist. Im Alter von 14 beginnt er als Botenjunge an den Wettschaltern, heute mit fast 80 steht er den Betreibern noch immer beratend zur Seite.
"Wir waren keine Olympiadisziplin, wir wurden also auch finanziell stark vernachlässigt, die Millionen, die eigentlich jedes Jahr in den Betrieb flossen, dienten lediglich zur Unterhaltung des Rennbetriebes überhaupt, dass dieser Sport durchgeführt werden kann, ohne aber damit unbedingt zu erreichen, dass es zu großen Leistungssteigerungen auf dem grünen Rasen kommen konnte."
Der Popularität Hoppegartens schadet das jedoch nicht. Pferderennen sind im DDR-Alltag eine willkommene Abwechslung.
DDR-Bürger: "In erster Linie kommen wir her, um uns zu amüsieren, um unsere Familie zu treffen, weil wir bloß einmal im Jahr hier sind in Hoppegarten. Denn wir kommen von der Küste, und für uns ist es immer sehr schwierig nach Hoppegarten zu kommen."

Kurze Euphorie nach der Wende

Dann fällt die Mauer, die Pferdefreunde aus dem Westen werden neugierig auf die Rennbahn im Osten. 45.000 Zuschauer kommen zum ersten deutsch-deutschen Renntag am 31. März 1990. Vier Mal gewinnt Jockey Peter Schiergen.
"Ja gut, man wusste nicht, wie stark die Ostpferde gegen die Westpferde sind, und die Ostpferde waren damals nicht so gut, und dann mussten die Westpferde halt mehr tragen in den Handicaps, das war schon interessant halt. Und die ganze Atmosphäre halt, das erste Mal hier nach der Wende der Renntag halt, und wurde in Ostwährung und Westwährung gewettet, und die Leute hier waren emotional sensationell gut drauf."
Die Euphorie währt nur kurz. Artur Böhlke, damals Direktor des 'VEB Vollblutrennbahnen', zu dem neben Hoppegarten vier weitere Rennbahnen in der DDR gehören, bekommt den Auftrag, den Betrieb abzuwickeln.
"Dann musste ich nun erstmal 700 Rennpferde verkaufen. Denn die Rennpferde, die hier standen, das waren Volkseigene Rennpferde. Bis 1989 habe ich bekommen für alle fünf Rennbahnen 13,5 Millionen Ostmark. Jedes Jahr. Stütze. Da brauchten sie keinen Sponsor oder so was. Wurde alles bezahlt. Auch die Trainer, auch die Jockeys, das waren alles Angestellte des 'VEB Vollblutrennbahnen' in Hoppegarten."
Und auch sie werden, bis auf wenige Ausnahmen, entlassen. Die Treuhandanstalt und ihre Nachfolgeorganisationen verwalten die Rennbahnen. In Hoppegarten finden Ende der 1990er-Jahre Kamel- und Elefantenrennen statt. Doch die wirtschaftlichen Erwartungen erfüllen sich nicht, 2005 steht Hoppegarten vor dem Aus. Mit finanzieller Unterstützung der Gemeinde hält der neu gegründete 'Rennverein Hoppegarten' den Betrieb aufrecht. Dann der Befreiungsschlag: 2008 findet sich ein neuer Eigentümer.

Der Investor sieht ein "Riesenpotenzial" in Hoppegarten

"Mein erstes Ziel ist es ja hier nicht, Gewinne zu maximieren. Sonst würde ich ein Projekt wie Hoppegarten wahrscheinlich gar nicht machen."
Der Unternehmer Gerhard Schöningh ist es, der für den Wendepunkt in der jüngeren Geschichte Hoppegartens sorgt. Der erste deutsch-deutsche Renntag im Jahr 1990 hatte es ihm angetan.
"Nur, ich muss auch ganz klar sagen: das ist eine Riesenanlage, das ist ein 'Denkmal nationaler Bedeutung', die Rennbahn ist Identitätsstiftend für die Gemeinde, auch für viele in der Region, und wenn alle sagen, 'ja, wir wollen die Rennbahn profitabel machen, wir möchten sie auch unabhängig von meiner Person langfristig erhalten', dann müssen wir eben ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept finden."
Hoppegarten-Rennbahn-Eigentümer Gerhard Schöningh am Rande einer Pressekonferenz am 18.07.2013 in Berlin.
Hoppegarten-Rennbahn-Eigentümer Gerhard Schöningh am Rande einer Pressekonferenz am 18.07.2013 in Berlin.© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Eine Zeitschrift nennt ihn "Vollblutinvestor". Das Geld, mit dem er die Anlage erwirbt, hat er als Fondsmanager in London verdient. Die Summen, die er seitdem jedes Jahr in die Sanierung und Weiterentwicklung Hoppegartens steckt, reichen bis in den siebenstelligen Bereich. Gerhard Schöningh erkennt in der Rennbahn ein Riesenpotenzial.
"Wir haben ungefähr doppelt so viele Besucher wie als ich hier antrat, obwohl wir nur die Renntage von acht auf elf gesteigert haben, wir haben das Sponsorenaufkommen vervierfacht, wir haben Eintrittsgelder verdreifacht, wir entwickeln die Anlage jetzt für große Ereignisse außerhalb des Rennsports, dann haben wir auch noch einige Gebäude hier, die im Moment leer stehen, die wir nutzen können, wo wir auch eine gute Rendite draus erzielen können, mir war von vornherein klar, dass das nicht in drei, vier Jahren geht, sondern dass das ein längerfristiges Projekt ist."

Fünf Peitschenschläge pro Rennen sind erlaubt

Wenn Renntag ist, ist Gerhard Schöningh überall. Jedes Rennen schaut er sich an, er plaudert mit den Gästen aus dem VIP-Bereich, nimmt Siegerehrungen vor. Oder er führt Politiker und Sponsoren übers Gelände. Wie zum Beispiel im August vergangenen Jahres Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Ihr zeigt er eine Zuschauertribüne, die bis vor kurzem völlig marode war und die nun mit finanzieller Unterstützung auch aus ihrem Etat denkmalschutzgerecht saniert wird. Plötzlich wendet sich die Kulturstaatsministerin dem Renngeschehen zu.
Grütters: "Immer nur drauf hauen."
Schöningh: "Nein, nein, nein, nein. Nein. Nein. Fünf Peitschenschläge sind erlaubt. Fünf."
Grütters: "Über die ganze Strecke?"
Schöningh: "Ja."
Grütters: "Ah. Das wusste ich nicht."
Schöningh: "Das ist ganz streng limitiert worden. Das ist auch relativ neu. Da ist Deutschland führend."
Minutenlang fachsimpeln die beiden weiter – mehr über den Rennsport und das gesellschaftliche Drumherum als über den Denkmalschutz. Monika Grütters findet es gut, dass Berlin mit der Rennbahn Hoppegarten einen Ort hat, an dem es den Menschen Spaß macht, sich in Schale zu schmeißen. So wie sie heute in ihrem dunkelblauen Kostüm:
"Hier kann ja ganz Berlin rein, aber hier gibt es natürlich auch eine Society-Qualität, die man woanders vergebens sucht. Ich bin, ehrlich gesagt, keine wirkliche Hutträgerin, aber so ein 'feines Kleidchen' ist mir so ein Sonntagnachmittag in Hoppegarten immer wert. Ich komme aus einer kinderreichen Familie, und wir haben tatsächlich immer Pferde gehabt. Zwar nur eines oder zwei und das mehr als Freizeitvergnügen für uns Kinder, aber mein Vater und ich sind jahrelang sonntags ausgeritten, ich selber habe richtig Reitunterricht früher gehabt, also 'ne Lust daran habe ich allemal und 'ne Nähe zu Pferden auf jeden Fall."

Hoppegarten ist wieder angesagt

Brieskorn: "Trainer, Hals und Bein!"
Der Besuch der Rennbahn Hoppegarten ist wieder angesagt. Die Zuschauerzahlen sind zuletzt kontinuierlich gestiegen. Dafür gibt es auch sportliche Gründe. Zum Beispiel der Match Race Cup, den die Organisatoren zuletzt veranstalteten. Ein Rennen Pferd gegen Pferd, Jockey gegen Jockey, für das sich die beiden Finalisten wie beim Fußball in einer K.O.-Runde mit Viertel- und Halbfinale qualifizieren mussten.
Favorit im vergangenen Jahr: der 9-jährige Lokalmatador Jacobo, ein brauner Wallach, dem sein Besitzer Frank Brieskorn zur Feier des Finaltages ein paar Sternchen in die Flanke hatte frisieren lassen. – Noch wenige Minuten bis zum Start.
"Ja, ist ein mächtiger Druck. Als Favorit ist immer ein Riesendruck. So ein Fußballspiel hat 90 Minuten, hier hast du zwei Minuten, ne?"
Seine Ehefrau Sabine sitzt derweil schon in der Loge auf der Haupttribüne, nippt an einem Glas Mineralwasser und zupft ihr knallrotes 'Team Jacobo'-Shirt zurecht. Gern erinnert sie sich an den Tag, als sie Jacobo kauften.
"Der hatte einen langen Transport hinter sich, der lag da in dieser Box, und der schaute uns an, und irgendwie habe ich es nicht so mit Stuten. Ich mag lieber Hengste und Wallache. Und dieser Wallach, also das war irgendwie Liebe auf den ersten Blick. Ja, und dabei ist es geblieben, und es ist eben derjenige, der immer ehrlich ist, immer kämpft, mittlerweile neun Jahre ist, so ein tolles Pferd, immer sein Geld verdient hat. Also, der Hammer, dieses Pferd."
Kaum ist das Finale um den Match Race Cup gestartet, ist es fast schon wieder vorbei. Im Sprint geht es die Zielgerade hinunter: 1.200 Meter – für Rennpferde eine vergleichsweise geringe Distanz.
Rennkommentar: "Mourtajez mit eineinhalb Längen vor Jacobo…"
Zur Hälfte des Rennens liegt Jacobo noch leicht zurück, dann zieht er unter den Anfeuerungsrufen seiner Besitzer und Fans unwiderstehlich an seinem Konkurrenten vorbei. Und gewinnt überlegen mit dreieinhalb Längen Vorsprung.
Sie: "Jacobo! Jacobo!!!"
Er: "Bleib ruhig!"
Sie: "Haach, jajajaja" (flippt aus) Jacobo!!! Jaaaa!" (Jubelgeschrei)
Eine gute Minute hat das Rennen gedauert. Siegprämie: 14.000 Euro. 10 Prozent davon erhält der Trainer, 5 der Jockey, 2 das Stallpersonal. Den großen Rest behält der Eigentümer.
"Ick war früher: oh nee, Galopper will ich nicht, ja, wollte ich immer nicht so ran, aber jetzt: man kommt ja doch von den Pferden nicht weg. Nee, kommt man nicht. Das ist wie so ne Sucht. Na, weil det schön ist, das macht Spaß, das ist ein ganz toller Sport, das ist Wahnsinn. Ja. Ist geil."

Schon als kleiner Junge stand Tim an der Rennbahn

Tim: "Ich hätte gern 5 Euro Sieg auf die 3, und 5 Euro Sieg auf die 8."
Kein Pferderennen ohne Wetten. Eine kleine Summe riskieren: geht immer. Tim hat gerade zehn Euro am Wettschalter gesetzt – auf zwei Pferde im vierten Rennen. Das erhöhe die Gewinnchancen, schmunzelt er, dafür sei er ja schließlich hergekommen.
"Die Suche nach dem schnellen Taler, sage ich mal. Also zum Picknicken nur würde man nicht hierher fahren. So weit in den Osten."
Tim ist junger Vater. Mit Kind und Kegel und drei weiteren befreundeten Familien hat er sich aufgemacht aus dem tiefen Berliner Westen gen Hoppegarten. Wetten fasziniert ihn. Schon als kleiner Junge stand er an der Rennbahn.
"Ich habe Familie in England, das ist ja ein wettverrücktes Volk, bei meiner Großmutter um die Ecke, wo wir jedes Jahr hingefahren sind früher als Kinder, war ne Hunderennbahn. Und die ging früher auch immer mit mir auf die Hunderennbahn. Da wurde dann halt auf diese Windhunde gesetzt, ja, und da ist auch ne Pferderennbahn um die Ecke, und so über England ist man damit so in Kontakt gekommen."
Ein Kontakt, von dem er seitdem nicht mehr lassen kann. Bevor er nach Berlin zog, lebte er in Köln. Die Jahreskarte für die Rennbahn in Weidenpesch war Pflicht. Genauso wie das intensive Studium der Rennzeitung.
"Am besten sind natürlich Ausgleichrennen, in England heißen die ja Handicaps, weil die besseren Pferde schwerere Gewichte tragen, und die schlechteren leichtere. Und da kann man immer gucken: wo ist derjenige, der vom Gewicht her und was er kann so die besten Chancen hätte."
Kurz vor dem Start des vierten Rennens noch schnell der Quotencheck.
"Wenn die 3 gewinnt, kriegen wir knapp 40 Euro, wenn die 8 gewinnt, dann kriegen wir gut 50 Euro."
Dann kämpfen elf Pferde um den Sieg. Tim und sein Kumpel Damian stehen am Rand der Picknickwiese und fiebern mit.
"Schnell, schnell, schnell."
Es ist ein Fliegerrennen, kurze Distanz. Nur wer von Beginn an hellwach ist, hat eine Chance. Die beiden von Tim favorisierten Pferde mit den Nummern 3 und 8 verschlafen das Finish und landen unter ferner liefen.
"Uhh, das war wohl nichts."
"Und das Geld ist weg."
Irgendetwas muss Tim bei der Lektüre der Rennzeitung heute wohl falsch verstanden haben.
"Jetzt müssen wir das erstmal den Frauen gestehen gehen."

Auch der Scheich aus Dubai ließ seine Pferde starten

Die Rennbahn in Hoppegarten verbindet Tradition mit Moderne. Auf der einen Seite stehen 150 Jahre Renngeschichte, darunter auch der bekannte Sketch von Wilhelm Bendow, der in Hoppegarten spielt.
"Wo laufen Sie denn? Wo laufen sie denn hin? Wenn die sich nur nicht verlaufen? Wo laufen sie denn?"
"Nun nehmen Sie doch endlich Ihr Opernglas, mein Gott."
"Das muss einem ja gesagt werden." (Riesenlacher)
Auf der anderen Seite steht ein Unternehmer, der versucht, die historische Anlage optimal zu vermarkten. Zum Beispiel sportlich, wenn im August der Saisonhöhepunkt ansteht: 'Der Große Preis von Berlin', eines der wichtigsten Galopprennen in Deutschland. Zuletzt dotiert mit 175.000 Euro. Im europäischen Vergleich Peanuts, gibt Rennbahn-Eigentümer Gerhard Schöningh zu, aber offenbar lukrativ genug, dass auch der Scheich aus Dubai seine Pferde schon an den Start brachte.
"Die Reputation, so ein internationales Championatsrennen zu gewinnen, ist sehr, sehr wichtig, besonders wenn sie einen guten Deckhengst aufbauen wollen. Und je mehr dieser Rennen er gewonnen hat, umso besser. In Deutschland haben wir im internationalen Vergleich nicht die höchsten Preisgelder, in Ascot in einem vergleichbaren Rennen würde der wahrscheinlich eine halbe Million gewinnen. Oder in Paris drei- oder vierhunderttausend. Aber das ist wie eine 1 plus auf einem Gymnasium, ob die Schule dann in Neukölln oder in Bogenhausen in München liegt, das ist relativ egal. Da geht es um die Note. Und Gruppe 1 bedeutet Gruppe 1."
2017 belegten die beiden Scheich-Pferde nur die Plätze 2 und 3 – an ihrer Reputation als künftige Deckhengste werden sie noch arbeiten müssen.

Ein "tolles Portfolio" an Gastveranstaltungen geplant

Gerhard Schöningh hat auch viel Arbeit. Er muss die Gemeinde Hoppegarten von seinen Zukunftsplänen überzeugen – die zeigt sich reserviert. Noch. Immerhin nennt sie sich seit neuestem offiziell 'Rennbahngemeinde Hoppegarten'. Zur Erklärung: die Anlage besteht nicht nur aus Rennbahn und Zuschauerbereich. Mehrere Trainerbahnen und Hinderniskurse gehören dazu, ein alter Gestütshof, viele weitere denkmalgeschützte Gebäudeteile, die saniert werden müssen, auf dem gesamten Gelände verteilte Pferdeboxen. Summa summarum 430 Hektar. Um das alles wirtschaftlich vernünftig betreiben zu können, so argumentiert der Eigentümer, müssen Bebauungs- und Flächennutzungsplan geändert werden. Damit die Anlage attraktiver hergerichtet werden kann für Großveranstaltungen wie das Lollapalooza-Musikfestival, das im vergangenen Jahr hier stattfand. Und damit auf frei werdenden Flächen Ferienwohnungen gebaut werden können.
"Meine Hoffnung in fünf Jahren ist, dass wir insgesamt 15 Renntage haben, die pro Renntag noch mal 50 Prozent besser besucht sind, dass Hoppegarten im deutschen Ranking an der Spitze oder ganz nah an der Spitze ist, dass die Trainingszentrale statt aktuell 138 Pferde 300 Pferde hat, dass wir ein tolles Portfolio an Gastveranstaltungen haben, darunter auch ein bis zwei Großveranstaltungen."

Sehen und gesehen werden – auch das gehört dazu

Rennkommentar: "Und Boxen auf zum 'Preis von Dahlwitz' 2018 an der 2.000-Meter-Marke."
Pünktlich zum Hauptrennen am Eröffnungswochenende der Jubiläumssaison strömen auch die Zuschauer, die sich hinter den Tribünen aufgehalten haben, an die Rennstrecke. Sehen und gesehen werden – die Damen in bunten Frühlingskleidern und mit auffälligen Hüten, die Herren eher klassisch: im Anzug mit Krawatte und Einstecktuch – alles das ist in den nächsten zwei Minuten Nebensache. Drei Pferde liegen auf der Ziellinie gleich auf, die Zuschauer jubeln verhalten, weil sie nicht sehen können, wer gewinnt.
"Ich glaube, Devastar gewinnt das Rennen… Zielfoto… ganz dicht dran…"
Es muss eine Vergrößerung des Zielfotos angefertigt werden, dann erst steht fest: Devastar, ein mächtiger brauner Hengst mit einer weißen Blesse auf der Stirn hat gewonnen. Jockey Martin Seidl freut sich riesig:
"Er läuft ja nur in hohen Klassen, immer gegen gute Pferde, immer harte Rennen und hat heute wieder gezeigt, was er kann. Okay, es war nur Zielfoto Nase, aber ob man mit Nase gewinnt oder mit zehn Längen: gewonnen ist gewonnen. Ich reite jetzt knapp zehn Jahre, wie viele ich in Hoppegarten gewonnen habe, weiß ich nicht, aber von den… es gibt bei uns verschiedene Klassen, wie beim Fußball. Im Fußball gibt es Kreisliga, Champions League, diese Listenrennen, wo ich jetzt zum Beispiel gewonnen habe, ist so was wie Europapokal, kann man sagen, im Fußball, davon war es jetzt das zweite oder dritte größere Rennen, wo ich in Hoppegarten gewonnen habe, deswegen natürlich auch ein schöner Erfolg."
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Jockey Martin Seidl© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
2016 bereits gewann er mit Devastar den 'Preis der Deutschen Einheit' in Hoppegarten. Martin Seidl ist voll von Adrenalin. Sechs Rennen bestreitet er heute, eines steht noch aus. Schwitzend stellt er sich den Fragen der Reporter, gern würde er jetzt eine kühle Dusche nehmen, wie die Rennpferde, die neben ihm mit einem Wasserschlauch abgespritzt werden. Aber er muss dringend noch etwas loswerden.
"Ja, die Bahn ist natürlich immer in Hoppegarten im Topp-Zustand. Das ist eine der schönsten Bahnen in Deutschland, wo wir haben. Deswegen wäre es natürlich schön, wenn wir wieder 30, 40 Renntage im Jahr haben, wie es stellenweise in Frankreich ist. Es wäre schön, wenn noch mehr Leute wieder auf die Bahn kommen, weil: wenn 10.000 kommen, spielen 5.000. Wenn aber 20.000 Leute kommen, spielen 10.000."
Pferderennen – das ist eine der ältesten Sportarten der Menschheit. Und wenn man den Zahlen glauben darf: nach Fußball die zweitbeliebteste in Deutschland. Die Rennbahn Hoppegarten hat die Wirren der Nachwendezeit überstanden, ein Besuch auf der Anlage zeigt: auch für jüngere Gäste ist sie attraktiv geworden. Vielleicht sogar für die nächsten 150 Jahre.
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