"1000 Arten Regen zu beschreiben" von Isa Prahl

Ein Film über jugendliche Totalverweigerung

Szene aus "1000 Arten Regen zu beschreiben" von Isa Prahl: Schwester Miriam (Emma Bading, v. l. n. r.) und die Eltern Susanne (Bibiana Beglau) und Thomas (Bjarne Mädel) stehen mit dem Geburtstagskuchen vor der Tür zu Mikes Zimmer.
Mikes Schwester Miriam (Emma Bading, v. l. n. r.) und die Eltern Susanne (Bibiana Beglau) und Thomas (Bjarne Mädel) stehen mit dem Geburtstagskuchen vor seiner Tür. © © 2018 Film Kino Text
Isa Prahl, Bibiana Beglau und Bjarne Mädel im Gespräch mit Susanne Burg · 24.03.2018
In "1000 Arten, Regen zu beschreiben" zieht sich ein 18-Jähriger komplett von seiner Familie zurück. Regisseurin Isa Prahl erzählt, was sie an diesem extremen Verhalten gereizt hat. Bjarne Mädel und Bibiana Beglau spielen im Film die Eltern – und berichten von der Herausforderung, vor einer geschlossenen Zimmertür zu agieren.
Susanne Burg: "1000 Arten, Regen zu beschreiben" heißt ein neuer Film – es ist ein Langfilmdebüt von Isa Prahl und er erzählt eine außergewöhnliche Familiengeschichte: Alles beginnt mit Mutter, Vater, Tochter, die vor dem Zimmer ihres Sohnes beziehungsweise Bruders stehen und "Happy Birthday" singen. 18 Jahre alt ist er geworden, und dann rummst die Tür und er schließt sich ein und kommt einfach nicht mehr raus.
Mike kommt nicht wieder raus und die Eltern und die Schwestern müssen vor der Tür irgendwie damit umgehen. Sie stehen vor dieser Tür, sie warten, fragen, flehen, verzweifeln und rasten aus – und werden dabei immer mehr mit ihren eigenen Geschichten konfrontiert.
Bjarne Mädel und Bibiana Beglau spielen die Eltern. Die beiden Schauspieler waren vor der Sendung gemeinsam mit der Regisseurin Isa Prahl im Studio. Und ich habe Isa Prahl erst mal auf dieses Phänomen angesprochen, dass sich Jugendliche im Zimmer einschließen und das in Japan als "Hikikomori" bekannt ist. Was sie daran gereizt hat, das Phänomen auf Deutschland zu übertragen, wollte ich wissen.

"Hikikomori wurde das erste Mal in Japan beobachtet"

Isa Prahl: Hikikomori wurde das erste Mal in Japan beobachtet und darüber geschrieben, aber es ist schon so, dass es auch mehr und mehr in Europa und auch in Deutschland sozusagen beobachtet wird, also dieser Zustand, dass sich Jugendliche zurückziehen, an dem Alltag oder an dem Leben außerhalb des Zimmers nicht teilnehmen.
Ich bin an diesen Stoff geraten, weil es sozusagen schon eine ganz, ganz frühe Drehbuchfassung gab davon. Meine Produzentin hatte früher einen Dokumentarfilm darüber gedreht und hatte sich dann vorgenommen, das zu fiktionalisieren. Und dann hab ich darüber gelesen, und ich konnte sehr viel eigentlich damit anfangen, also mit diesem Jungen, der sich zurückzieht, also die Tür schließt, konnte ich direkt irgendwie anknüpfen.
Burg: Bjarne Mädel und Bibiana Beglau, Sie spielen die Eltern dieses Jungen, der sich einschließt. Waren Sie vorher mit dem Phänomen bekannt, oder anders, wie haben Sie sich eingearbeitet?
Bibiana Beglau: Ich kannte das Phänomen so nicht. Was ich daran ganz erstaunlich und für mich auch total unfassbar und ungreifbar empfinde, ist, dass das innerhalb der Familie oder im schmalsten und kleinsten sozialen Kontext stattfindet. Da entzieht sich ja nicht jemand wirklich einer Gesellschaft, sondern es findet in der Mitte, also im Herzen der Gesellschaft, im kleinsten Teil, nämlich der Familie statt.
In unserem Film ist es dann so, die Mutter stellt natürlich das Brot vor die Tür, was soll der verhungern, nein. Der Vater sagt dann, was soll denn das, ist doch kein Vieh, der muss rauskommen, wenn er essen will, also so. Und das finde ich sehr verzweifelt.
Burg: Es ist ja noch nicht mal, dass er sich in sich selber zurückzieht, sondern tatsächlich physisch zurückzieht in sein Zimmer. Bjarne Mädel, wie ist es Ihnen ergangen, wie haben Sie sich da eingearbeitet in dieses Phänomen?

"Der Film konzentriert sich auf die, die damit konfrontiert sind"

Bjarne Mädel: Was ich besonders schön finde an dem Film oder interessant fand von Anfang an dem Buch, dass es kein Film ist, der sich mit dem Jungen viel beschäftigt, sondern der Film konzentriert sich auf die, die damit konfrontiert sind. Wir haben oft beim Drehen gesagt, das fühlt sich eher an wie ein Verlust, eine Verzweiflung, weil man jemanden verloren hat, den man sehr liebt, und das war eigentlich unsere Aufgabe.
Insofern hab ich mich in dieses Phänomen Hikikomori oberflächlich eingelesen, und ich hatte davon schon mal gehört, aber mich hat eigentlich mehr die Situation der Betroffenen dann interessiert, weil das war das, was wir dann in den Mittelpunkt gestellt haben oder was das Buch von Anfang an in den Mittelpunkt gestellt hat.
Burg: Isa Prahl, es ist ja eben so, man sieht den Jungen Tatsache nicht, Sie konzentrieren sich ganz auf die, die ausgeschlossen sind, also auf die Familie. Was hat Sie an dieser Perspektive gereizt?
Prahl: Also eigentlich geht es wirklich um diesen Schmerz dieser Familie, auch um so eine absolute Ohnmacht. Ich glaube, es gibt nichts Brutaleres, als wenn jemand einfach die Tür schließt und nicht sagt warum, also es ist ja ein Bild für etwas. Es ist ein brutaler Akt.
Burg: Diese titelgebenden "1000 Arten, Regen zu beschreiben" sind so die einzigen Lebenszeichen, die der eingeschlossene Bruder nach außen sendet, nämlich an seine Schwester. Wie kann man das verstehen, sind das Lebenszeichen oder doch so versteckte Botschaften?

"Wer weiß, was er da hinter der Tür macht"

Prahl: Es ist ja die einzige Art der Kommunikation, die er eigentlich noch mit der Schwester führt. Es sind diese Regenbeschreibungen, und wir haben halt lange auch überlegt, was macht dieser Mensch hinter dieser Tür. Man hätte ja jetzt sagen können, man hört Ballerspiele die ganze Zeit, also er dreht nur die Musik die ganze Zeit laut, und wir haben aber irgendwann gesagt, erst mal ist es ja auch vielleicht sein gutes Recht, sich zurückzuziehen.
Jeder kann die Entscheidung fällen, wenn er sagt, mir wird das zu viel, ich bin überfordert, ich weiß nicht, wie ich mit diesen vielen Möglichkeiten umgehen soll, ich ziehe mich mal zurück und nehme mir Zeit. Diesen Ansatz fanden wir interessant, und deswegen haben wir dann irgendwann gedacht, wer weiß, was er da hinter der Tür macht, vielleicht beschäftigt er sich mit dem Klima oder mit irgendetwas, was er sich ganz explizit sozusagen anschaut.
Das hat natürlich dann noch so eine Ebene ... Er beschreibt ja den Regen, wir empfinden Regen manchmal nur als hässlich, kalt und nass und ätzend, aber es gibt sehr viele unterschiedliche Arten des Regens, und ich glaube, dass wir manchmal vielleicht so einen Blick verloren haben. Und vordergründig denkt man, er guckt sich genau diese Feinheiten an, aber es gibt natürlich dann am Ende auch eine Antwort von seiner Schwester auf die Frage, was der schönste Regen ist.
Burg: Genau, das lassen wir mal offen. Aber mit den Eltern kommuniziert er ja nicht, und die Familie beginnt dann langsam, sich zu ordnen, aber eigentlich wird jedes Familienmitglied in eine Krise gestürzt. Frau Beglau, Ihre Figur, die Mutter, die sucht sich so eine Art Ersatzsohn. Wie würden Sie das beschreiben, was mit ihr passiert in dem Film?

"Sie bleibt als Leerstelle vor dieser Tür zurück"

Beglau: Ja, Fassbinder hat mal gesagt, am schlimmsten ist das Ungewisse zu ertragen. Sie kann nicht mehr handeln und bleibt als Leerstelle vor dieser Tür zurück und macht eigentlich was ganz Gesundes: Die stopft das Loch in ihrem Herzen mit einem anderen Jungen, ein Freund von ihrem Sohn, und will ihn ausforschen und horchen, ob da eine Verbindung ist.
Und irgendwann entsteht zwischen diesen beiden Figuren, dass sie den als, ja, als Wundpflaster nimmt. Eigentlich fand ich das, so verzweifelt es ist, aber eigentlich überlebensstrategisch ganz schön klug und kräftig, kraftvoll.
Burg: Wobei sie ja dann auch doch verwirrt ist, was er eigentlich für eine Beziehung zu diesem jungen Mann hat.
Beglau: Ja, als der junge Mann dann verwechselt, der ja vielleicht auch auf einer Suche nach einer Form von Liebe ist, die aber vielleicht anders gepolt ist, und diese Frau sich eben da so offen genähert hat und er das immer falsch interpretiert, da schreckt sie natürlich schon zurück, also dass sie sieht, dass sie da einfach einen Schritt zu weit oder das Angebot zu großzügig gestaltet hat, dass der dann denkt, och, Gelegenheit macht Diebe.
Burg: Bjarne Mädel, Thomas, der Vater, hat er den männlichen Part, ist er der Pragmatiker, oder wie würden Sie das beschreiben, was mit ihm passiert?

"Wie jeder in sein eigenes Extrem geworfen wird"

Mädel: Ja, vielleicht auf den ersten Blick ist das so, dass der Mann sich in seine Arbeit stürzt, dass man vielleicht, ich weiß nicht, ob das ein Klischee ist, aber eher so den Männern zuschreiben würde, dass die, wenn die Probleme haben, sich einfach immer mehr in ihre Arbeitswelt vertiefen. Meine liebste Szene, ohne was vorwegzunehmen, ist eine Szene mit einer Putzfrau, wo man eben erkennt, dass der auch nicht mehr funktioniert. Das fand ich sehr schön, wie jeder in sein eigenes Extrem geworfen wird eigentlich.
Burg: Was ich so wunderbar finde an dem Film, dass sich ja vieles einfach vor dieser geschlossenen Tür abspielt – so eine weiße Tür und, wenn ich es richtig in Erinnerung habe, auch eine weiße Wand in diesem Flur –, und man fragt sich, Frau Prahl, wie schwierig war das eigentlich, das zu inszenieren?
Prahl: Es ist ganz interessant, weil eigentlich ist das eine große Herausforderung gewesen, weil man eigentlich ja diesen einen Ort hat, dieses Bild, also diese geschlossene Tür, die zu ist. Wir haben ja auch viel darüber immer gesprochen, was vor dieser Tür eigentlich alles passiert und was für unterschiedliche Gefühle auch dort sich abspielen. Also wir haben auch ganz zu Beginn der Dreharbeiten – wir sind erst mal in diesem Haus rumgelaufen und haben einfach mal dieses Haus sozusagen kennengelernt und haben ganz lange dann angefangen, vor dieser Tür zu sitzen, um einfach das erst mal zu spüren, was hier das eigentlich alles bedeutet.
Manchmal hatte man so ein bisschen den Eindruck, am Ende, ja auch, wenn diese Familie dann vor dieser Tür dann wieder zusammenfindet und dort auch übernachtet, das ist ja so, als würde plötzlich ihr ganzes Leben auf diesem kleinen Teppichabsatz vor dieser Tür dann stattfinden. Das fand ich bildlich und so auch interessant natürlich in einer Art und Weise.
Und das war natürlich auch eine Herausforderung, da verschiedene Emotionen, glaube ich, zu erarbeiten, aber da gibt es eine Menge, glaube ich, was man so vor so einer Tür erleben kann.
Burg: Frau Prahl, Sie gucken jetzt die beiden Schauspieler an – war es eine Herausforderung, worin bestand die, vor so einer Tür zu spielen?

"Das Schwierige war, dass man kein Gegenüber hat"

Mädel: Das Schwierige war halt, dass man kein Gegenüber hat. Uns hat es sehr geholfen, dass wir hin und wieder Teammitglieder ausnutzen durften, die dann sich im Zimmer bewegt haben für uns, weil es einfach sehr geholfen hat, wenn da irgendwas Lebendiges hinter dieser Tür tatsächlich stattgefunden hat – Schritte Schatten, Atmen, also irgendwelche Geräusche, die das Ganze einfach wirklich real haben erscheinen lassen. Das hat uns geholfen.
Ansonsten weiß ich gar nicht, wir hatten, glaube ich, immer höchstens die Angst, als Spieler nicht alles zu zeigen oder nicht alles zeigen zu können, die Palette an Emotionen, die man da durchleben kann. Jetzt guck ich Bibiana an, und ...
Burg: Sie nimmt den Faden auf.
Beglau: Ich fand diese Leerstelle oder Leerraum, Tür, Flurbereich, es war halt wirklich leer, und es ist wie in so einem Transitraum. Und in Transiträumen ist das Schönste, was einem begegnet, der Nächste, weil mehr gab es ja nicht. Es gab ja nur diesen grauen Teppich und diese Wand und von dem Hund diese angekratzte Tür. Und so hatte man dann als Spieler seinen Nächsten.
Bjarne, der dann neben mir war oder in meiner Nähe oder Isabel, die dann kommt und etwas erklärt und man Nähe hat. Manchmal hat man auch die Nähe der Kamera plötzlich viel anders wahrgenommen und dachte, ja, gut, dass hier jemand ist, weil alleine hier – ja, es ist kalt, es hat eine große Ausstrahlung von Kälte gehabt.
Burg: Sie haben das auch so schön beschrieben, wie Isa Prahl dann zu Ihnen kommt. Ich muss vielleicht auch sagen, das ist ja Ihr Langspielfilmdebüt. Wenn man da so als nicht ganz Erfahrene ankommt, hat man da manchmal auch so ein bisschen Muffensausen?

"Das war für mich einfach so ein guter Crashkurs"

Beglau: Auf jeden Fall. Das gehört natürlich dazu. Ich meine, klar, dann gehe ich da auch am Anfang natürlich total mit Lampenfieber irgendwie hin, aber das ist natürlich auch ein tolles Geschenk, weil man dann auch einfach merkt ... Ich finde ja sowieso, Drehen ist so ein Moment, wo ich dann hinterm Schreibtisch hervor eigentlich komme, man alles sich vorher überlegt hat, und dann plötzlich kommt man ans Set und da gibt es diesen Moment, wo plötzlich alle dazu beisteuern, und da passiert ganz, ganz viel.
Und wenn man da ganz tolle Leute an seiner Seite hat, dann kann da eben ganz was Magisches auch passieren. Das war für mich einfach so ein guter Crashkurs.
Burg: Und das Ergebnis, das kann man dann ab Donnerstag auch im Kino sehen: "1000 Arten, Regen zu beschreiben". Isa Prahl, die Regisseurin, und in den Hauptrollen Bjarne Mädel und Bibiana Beglau, vielen Dank für Ihren Besuch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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