100 Tage Rot-Rot-Grün

Ein holpriger Start in Berlin

Pinsel mit roter, roter und grüner Farbe liegen auf einem weißen Blatt Papier.
Rot-Rot-Grünes Farbspiel: Die 100-Tage-Bilanz der Koalition in Berlin ist durchwachsen. © pa/dpa/Pleul
Von Claudia van Laak · 17.03.2017
Rot-Rot-Grün ist in Berlin voller Pläne und mit hehren Zielen angetreten: Das Flughafen-Debakel sollte beendet und die Unterbringung der vielen Geflüchteten in Berlin endlich geregelt werden. Die Bilanz nach 100 Tagen fällt durchwachsen aus.
Mit hehren Zielen ist sie angetreten, die rot-rot-grüne Koalition im Land Berlin. Alles besser, schöner, schneller machen. Viele bezahlbare Wohnungen bauen, die Flüchtlingsmisere beseitigen, die Verwaltung wieder flott machen. Nicht zuletzt gut und vertrauensvoll miteinander regieren. Doch kaum war die Tinte trocken unter dem Koalitionsvertrag, da machten Personalquerelen und weitere massive Probleme am Hauptstadtflughafen BER der Dreier-Koalition einen Strich durch die Rechnung. Nicht zuletzt das Attentat am Breitscheidplatz kurz vor Weihnachten war eine schwere Prüfung für die neue Landesregierung.
Claudia van Laak hat die Koalition während der ersten 100 Regierungstage begleitet, von der Wahl Müllers zum Bürgermeister bis zum erneuten Personalwechsel auf der Flughafen-Baustelle. Sie hat auch die Bürger befragt (Auszug aus dem Manuskript):
"Rot-Rot-Grün ist super"
"Rot-Rot-Grün ist ein Desaster für Berlin"
"Rot-Rot-Grün ist die innovative Hoffnung für Berlin"
"Rot-Rot-Grün im Bildungsbereich ist undurchsichtig und unambitioniert"
"Rot-Rot-Grün ist der richtige Impulsgeber für die jetzige Zeit"
"Rot-Rot-Grün ist in den ersten 100 Tagen eine schwere Zumutung für die Stadt gewesen."
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Die Personalie Holm

Nur wenige Tage später hat der frisch gewählte Regierende Bürgermeister von Berlin allerdings schon ein veritables Personalproblem. Die mitregierende Linke hat Andrej Holm zum Staatssekretär für Wohnen gemacht – einen parteilosen Stadtsoziologen, der gegen die Gentrifizierung kämpft und Hausbesetzungen für eine akzeptable Methode der Wohnungspolitik hält.
Aber nicht das wird zum Problem, sondern seine Vergangenheit: Der 46-Jährige stammt aus einer linientreuen SED-Familie, er verpflichtete sich bereits mit 14 Jahren zu einer Stasi-Karriere, wurde nach dem Abitur Offiziersschüler des Ministeriums für Staatssicherheit. Andrej Holm behauptet, nie hauptamtlicher Mitarbeiter der Stasi gewesen zu sein, was nach Aktenlage nicht stimmt.
Andrej Holm:
"Aus meinem damaligen Wissensstand heraus war das meine feste Überzeugung, dass ich kein Hauptamtlicher war. Weil ich ja auch noch nicht fertig ausgebildet war. Ich habe auch keine falschen Angaben gemacht, ich habe vor einem falschen Wissenshintergrund eine falsche Angabe gemacht, aber ich hab das ja nicht wissentlich gemacht."
Für die Linke und ihre Anhänger ist klar – die Vergangenheit des Andrej Holm wird genutzt, um ihn persönlich zu diskreditieren und eine mieterfreundliche Wohnungspolitik unmöglich zu machen. In den Worten von Dietmar Bartsch, linker Fraktionschef im Bundestag:
"In dieser Personalie ist alles, was es an Problemen gibt mit der neuen Regierung jetzt versucht worden, in ein Brennglas zu bringen. Man versucht hier überregional insbesondere zu zeigen, es gibt keine Alternative zur Kanzlerin Merkel, das ist der Kern der Causa Holm."
Die Personalie Holm wird zur Hängepartie für Rot-Rot-Grün. Die Koalition leidet unter der Unentschlossenheit und Entscheidungsschwäche des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller.
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Nächstes Problem: die Flughafen-Baustelle

Holm tritt wenige Tage später zurück, die Linke fühlt sich gedemütigt, doch insgesamt atmet die Dreier-Koalition auf. Jetzt kann man sich endlich den wichtigen Dingen widmen und die Stadt voranbringen – freuen sich alle. Doch weit gefehlt. Das Verliererthema schlechthin ploppt wieder auf – der BER. Flughafengeschäftsführer Karsten Mühlenfeld und Aufsichtsratschef Michael Müller müssen zugeben: Der BER kann auch 2017 nicht eröffnen. Die fünfte Verschiebung ist damit perfekt, ein Eröffnungsdatum weiter nicht in Sicht. Man hört einen sichtlich genervten Regierenden Bürgermeister sagen:
"Ich habe in den letzten Monaten vor und nach der Wahl auch hier im Parlament immer darauf hingewiesen: Der Zeitplan ist so eng, es darf nichts mehr passieren an Bauverzögerung, dann ist 17 nicht mehr zu halten, darauf habe ich hingewiesen, jetzt ist es eingetreten, wir sind jetzt erst darüber informiert worden, und nun habe ich es auch sofort kommuniziert."
Flughafenchef Karsten Mühlenfeld – eh schon angezählt – versucht daraufhin einen Befreiungsschlag. Er entlässt gegen den Willen des Aufsichtsrats den Verantwortlichen für den Bau des Hauptstadtflughafens. Krisensitzungen folgen.
Nach der Personalie Holm eine weitere Hängepartie für die rot-rot-grüne Koalition, die mit einem umfangreichen Personalwechsel endet: Flughafenchef Mühlenfeld geht mit einem goldenen Handschlag – 800.000 Euro – und der bisherige Flughafenkoordinator in der Berliner Senatskanzlei, der SPD-Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup, wird sein Nachfolger – er ist ein enger Vertrauter Michael Müllers.

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Pluspunkt für die Flüchtlingspolitik

Gerade die Flüchtlingspolitik geht Rot-Rot-Grün beherzt an. Die frisch gebackene linke Sozialsenatorin Elke Breitenbach beendet zügig die
lang andauernde, skandalöse Unterbringung von Asylbewerbern in Turnhallen. Mitte Januar sagt Breitenbach im Abgeordnetenhaus:
"Das sind elende Unterbringungsmöglichkeiten für die Geflüchteten, und dieses Elend wollten wir beenden. Und deshalb haben wir beschlossen, dass wir die Turnhallen räumen. Und ich bin sehr froh, dass dieser Senat endlich in so kurzer Zeit den Anfang machen konnte und damit gezeigt hat, wir stehen für eine andere Flüchtlingspolitik, wir stehen für eine Willkommenskultur und wir nehmen Integration ernst."
Unter dem vorherigen rot-schwarzen Senat erlangte das LaGeSo – das Landesamt für Gesundheit und Soziales – traurige Berühmtheit. Monatelang mussten tausende Flüchtlinge – zunächst unter sengender Sonne, dann in Regen, Schnee und Matsch - vor dem Amt Schlange stehen. Damit nicht genug.
Als alle anderen Bundesländer längst ihre Notunterkünfte aufgelöst hatten, lebten in der Hauptstadt immer noch 5000 Flüchtlinge in Turnhallen. Der vorherige Senat machte immer wieder Versprechen, die er anschließend nicht einhielt – Leidtragende waren die Flüchtlinge, aber auch Sportvereine und Schulen. Ein genervter Klaus Böger - Präsident des Berliner Landessportbundes – sagte im September kurz nach der Wahl:
"Und ich kann der Politik jetzt nach den Wahlen in Berlin nur dringlich raten, jetzt endlich auch tatsächlich zu handeln."
Und Rot-Rot-Grün handelt. Nach 100 Tagen im Amt leben immer noch Flüchtlinge in Notunterkünften, aber der Auszug aus den dringend benötigten Turnhallen geht schneller voran als von der Vorgängerregierung geplant, die Versprechen werden eingehalten.

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