10. Todestag von Ernst Ludwig Ehrlich

Brückenbauer und Diplomat des jüdischen Lebens

Ernst Ludwig Ehrlich spricht während einer Pressekonferenz.
Ernst Ludwig Ehrlich wirkte im Deutschland der Nachkriegszeit als einer der maßgeblichen Akteure im jüdisch-christlichen Dialog. © imago/Christian Ditsch
Von Carsten Dippel · 03.11.2017
Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk ist eines der 13 Begabtenförderungswerke, die vom Bundesbildungsministerium unterstützt werden. Sein Namensgeber gehörte zu den herausragenden jüdischen Intellektuellen Nachkriegsdeutschlands. Jetzt jährt sich sein Todestag.
Er war einer der letzten vier Schüler von Rabbiner Leo Baeck an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, bevor diese 1942 von den Nazis geschlossen wurde. Baeck war es, der Ehrlich bat, Deportationsbriefe auszuteilen. Angesichts des Grauens sei das vielleicht etwas menschlicher, sie aus jüdischer Hand zu erhalten. Eine prägende und schmerzvolle Erfahrung, die den jungen Studenten schon sehr früh an die existentiellen Fragen des Lebens führte, sagt Walter Homolka. Als Ehrlichs Mutter im Rahmen der berüchtigten "Fabrikaktion" 1943 aus Berlin deportiert wurde, tauchte ihr Sohn in den Untergrund ab. Wenige Monate später gelang ihm die Flucht in die Schweiz:
"Aber da ist er natürlich auch ganz allein. 1943 ist er 22 Jahre alt und steht praktisch vor dem Nichts, auch finanziell. Hat da aber auch Hilfe erfahren, die ihm sehr früh deutlich gemacht hat, wie wichtig es ist, dass man sich dem sozial Schwächeren zuwendet."
Ernst Ludwig Ehrlich, 1921 in Berlin geboren, stammte aus einem bürgerlichen Haus. Sein Vater Martin, ein Bahnbeamter, starb 1936. In der Schweiz hat Ehrlich jahrelang in äußerst prekären Verhältnissen gelebt und dennoch in Bern studiert, wo er 1950 über den "Traum im Alten Testament" promovierte.

Ehrlich konnte Ausbildung nach dem Krieg nicht fortsetzen

Als junger Lehrbeauftragter für Judaistik kam er 1955 ins Nachkriegsdeutschland, zunächst nach Frankfurt am Main, später auch nach Berlin. Doch der Anfang in Deutschland war schwer:
"Das ist nicht so, als hätten nach '45 Juden, die nach Deutschland zurückgekehrt sind, die Tore offen gestanden. Sondern das war eine sehr deprimierende Existenz für jemandem, der dann versucht hat, vor dem Nichts stehend, Fuß zu fassen. Und auch das Tragische an Ernst Ludwig Ehrlichs Existenz, dem Versuch also irgendwie eine Nachkriegsexistenz aufzubauen, finde ich wichtig für heutige junge Jüdinnen und Juden."

Ein wichtiger Mentor

Ursprünglich wollte Ernst Ludwig Ehrlich Rabbiner werden. Doch seine bei Leo Baeck begonnene Ausbildung konnte er nach dem Krieg nicht mehr fortsetzen. Aber es blieb ihm zeitlebens ein sehr wichtiges Anliegen, erinnert sich Walter Homolka, der Ehrlich begegnet ist, als dieser ab den 80er-Jahren an hohen jüdischen Feiertagen in Berliner Synagogen predigte:
"Und dann war er ein wichtiger Mentor für mich im Gesprächskreis Juden und Christen im Zentralkomitee deutsche Katholiken. Und in meiner Aufbauarbeit des Abraham Geiger Kollegs war er sehr früh ein wichtiger Berater und Strippenzieher, der wesentlich dazu beigetragen hat, dass wir politisch auch Gehör gefunden haben für dieses Anliegen, einer Rabbinerausbildung in Deutschland."

Maßgeblich für jüdisch-christlichen Dialog

Ehrlich hatte bei seiner Flucht 1943 auf christliche Freunde bauen können, die ihm gefälschte Papiere beschafften. Auch im Exil half ihm ein solches Netzwerk. Erfahrungen die sein späteres Engagement für den Dialog zwischen Kirche und Judentum entscheidende Impulse gaben. So beriet er Anfang der 60er Jahre Kardinal Bea in der Vorbereitung zur Konzils-Erklärung Nostra Aetate, die neue Türen im Verhältnis von katholischer Kirche und Judentum öffnete.
Als Europadirektor von B'nai B'rith, als Mitglied im Gesprächskreis Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, nicht zuletzt als Generalsekretär der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz wirkte Ehrlich als einer der maßgeblichen Akteure im jüdisch-christlichen Dialog. Er war ein Brückenbauer und Diplomat, zugleich aber auch ein kritischer Dialogpartner, etwa beim Stichwort Judenmission, sagt Walter Homolka:
"Ernst Ludwig Ehrlich verband einmal das religiöse Interesse eines Naheverhältnisses zwischen Kirchen und Judentum. Aber auch die Fähigkeit, für die jüdische Gemeinschaft politischen Einfluss auszuüben. Und das ist eine interessante Mischung gewesen, so dass man ihn auch als Diplomaten des jüdischen Lebens bezeichnen kann."

"Im Sozialen werden wir zur Menschheit"

Als das Studienwerk für die jüdische Begabtenförderung in Deutschland nach einem passenden Namensgeber suchte, fiel die Wahl schnell und einhellig auf Ernst Ludwig Ehrlich. Seinen Lebensweg sieht Walter Homolka denn auch als ein Vermächtnis für die junge jüdische Generation:
"Eine wichtige Aussage von Ehrlich war: Im Sozialen werden wir Menschen zur Menschheit. Wir müssen den Zusammenhalt unserer Gesellschaft stärken. Wir dürfen uns nicht nur um unsere eigenen Belange kümmern."
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