0,26 Kilometer Autobahn

Von Christoph Richter · 22.10.2013
"Ohne Kultur läuft nichts" heißt das Motto eines 95 Kilometer langen Staffellaufs gegen die Kultursparpläne in Sachsen-Anhalt. Wenn es nach der Landesregierung in Magdeburg geht, soll die Theaterförderung von jährlich 36 Millionen Euro auf weniger als 29 Millionen gekürzt werden.
Bekleidet mit einem orangenen T-Shirt und der Aufschrift "Ohne Kultur läuft nichts" ist Matthias Brenner, der Schauspielintendant des Neuen Theaters in Halle, einer der Teilnehmer des Staffellaufs gegen die sachsen-anhaltischen Kultursparpläne. Sieht lustig aus, klingt neckisch. Ist aber eher ein Akt letzter Verzweiflung, wie man am Beispiel Dessau sehen kann. Denn schon ab dem kommenden Jahr soll das Anhaltische Theater mit rund drei Millionen Euro weniger auskommen. Damit dürfte eine der ältesten Bühnen Deutschlands spätestens in zwei Jahren für immer von der Landkarte verschwinden, befürchtet Intendant André Bücker.

"Könnte sein, dass es das Theater in zwei Jahren nicht mehr gibt. Also gehen tut alles. Sie können irgendwie Musiktheater mit zwei Sängern und ein Kammerorchester machen. Ist nur eine Frage, wie sinnvoll das ist. Und wer das dann sehen will."

Bei drei Millionen Euro weniger wird es in Dessau allerdings nicht bleiben, unterstreicht Intendant Bücker. Und rechnet vor:

"Zu den drei Millionen die fehlen, würde dann noch mal der Wegfall der Haustarife kommen, das sind noch mal 1,8 Millionen. Dazu noch Tarifsteigerungen, da ist man dann ganz schnell bei 5,5 Millionen Euro die fehlen."

Damit wäre das Schicksal einer 219-jährigen Theatertradition besiegelt, ergänzt Theatermacher Bücker. Und der Vorhang würde sich für immer schließen.

Wegfall des Solidarzuschlags und einbrechende Steuereinnahmen
Der Hintergrund: Die Große Koalition in Sachsen-Anhalt plant unter der Regie von CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff wegen des ab 2019 wegfallenden Solidarzuschlags, wegen der einbrechenden Steuereinnahmen einen harten Sparkurs. Allein im Theaterbereich soll der Landeszuschuss von jährlich 36 Millionen Euro, auf weniger als 29 Millionen Euro sinken. Noch mal der Hallenser Intendant Matthias Brenner:

"Das sind ungefähr 0,26 Kilometer Autobahn, vierspurig, Standard. Das ist immer so ein Vergleich, aber ich zieh den jetzt mal ran. Dass man weiß, dass man mit sieben Millionen nicht allzu viel aufbauen kann, aber man kann durch das Entziehen einer solchen Summe unglaublich viel zerstören."

Strukturelle Anpassungen nennt das der sachsen-anhaltische SPD-Kultusminister Stephan Dorgerloh. Und unterstreicht, dass sich das Land Sachsen-Anhalt zukünftig nicht mehr als zwei Vierspartenhäuser leisten könne, weswegen man dem Theater Dessau empfehle, auf einzelne Bereiche zu verzichten.

"Man wird im Ensemble Einschnitte haben bei diesem Etat. Das ist völlig klar. Man wird nicht mehr alle Sparten vor Ort halten können. Man wird kooperieren müssen, man wird einkaufen müssen, man wird Dinge übernehmen müssen aus anderen Häusern, wie es in ganz vielen Häusern dieser Republik gang und gäbe ist. Dass man eine Mischung hat aus eigenem Ensemble und Bespieltheater."

Dem widerspricht Intendant André Bücker vehement:

"Das ist komplett unrealistisch. Das haben wir auch nachgewiesen bekommen. Die Stadt hat ein unabhängiges externes Gutachten in Auftrag gegeben, bei einer renommierten Firma, die schon mehrere Transformationsprozesse in Theatern begleitet hat und die haben ganz deutlich gesagt, dass es nicht reichen würde, Schauspiel und Ballett zu schließen. Und das Musiktheater so zu erhalten. Also sie müssten auch noch ans Musiktheater ran. Dann hätten sie eine Schrumpfvariante mit kleinerem Orchester, kleinerem Chor und ohne Ballett. Was ist denn das für Musiktheater überhaupt. Sie können nicht mal mehr Operetten oder Musicals spielen. Das ist komplett sinnfrei."

Aber auch für Halles Theater und Orchester sieht die Zukunft nicht rosig aus, hier will die Landesregierung die Zuschüsse um ein knappes Viertel kürzen. Drastisch ist die Lage allerdings für die Landesbühne Eisleben. Wenn hier die derzeit auf Eis liegenden Fusionspläne mit dem Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt nicht zustande kommen, wird es auch hier zukünftig kein Geld mehr geben. Damit würden in Sachsen-Anhalt nicht nur ein Theater, sondern gleich zwei Theater auf einen Schlag für immer in der Versenkung verschwinden. Für Rolf Bollwin, den Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins völlig unverständlich.

"In der Konkurrenz der Regionen zueinander werden Standorte nicht mehr attraktiv sein, die nicht ein attraktives kulturelles Angebot bereithalten. Insofern kann man die Landesregierung Sachsen-Anhalts nur auffordern, diese Pläne zurückzunehmen und sich zu besinnen auf die Bedeutung von Kultureinrichtungen in Standortfragen."
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